Das vierte Ukrainische Filmfestival in Berlin: Blick auf die zerstörte Heimat
Was ist Heimat, wenn sie gerade zerbombt wird? Ist es die Kindheitserinnerung an den Donbass 2014, als es noch möglich schien, auf einer Himalaya-Expedition die russische Invasion zu vergessen? Ist es das abgelegene Dorf in den Karpaten, in dem die Frauen versuchen, den Alltag zu meistern, in dem es zwar an Briefmarken mangelt, aber die Idylle der Landschaft so etwas wie Frieden verspricht? Ist es der Minibus, in dem Menschen über mehr als tausend Kilometer ins Exil fahren, ein provisorischer Zufluchtsort für diejenigen, die ihr Zuhause verloren haben?
Das vierte Ukrainische Filmfestival in Berlin nähert sich der Frage nach Heimat und Heimatverlust anhand von Filmen wie „We will not Fade Away“ über fünf Jugendliche im Donbass, Maksym Melnyks Karpaten-Doku „Drei Frauen“ und Maciek Hamelas Roadmovie „In the Rearview“. Eine Schicksalsgemeinschaft drängelt sich in einem Van zusammen, der das zerstörte Land durchquert. Der polnische Regisseur sitzt selbst am Steuer.
Eröffnet wird das Festival, das unter dem Motto „No time like home“ zehn aktuelle ukrainische Produktionen präsentiert und um eine kleine Retrospektive sowie drei georgische Titel ergänzt wird, am Mittwoch mit „Iron Butterflies“ (19 Uhr, Colosseum). In dem Dokumentaressay über den Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs MH17 durch eine russische BUK-Rakete im Juli 2014 versammelt Regisseur Roman Liubyi vielfältiges Archiv- und Recherchematerial. Russische Propaganda, Bilder von verkohlten Sonnenblumenfeldern und den Bergungsarbeiten, von der Rekonstruktion der Maschine aus den Wrackteilen, vom Tribunal in Den Haag.
Liubyi reichert seine Collage um poetische Bilder und Performance-Elemente an. So entsteht ein (mitunter sehr verwirrendes) Rätselbild. Aber man ahnt, was es heißt, wenn Äcker zu Schlachtfeldern werden, und die Heimat zum Tatort. Zum Schauplatz eines Kriegsverbrechens mit 298 toten Zivilist:innen, eines von vielen im Zuge der russischen Invasion, die seit ihrer Ausweitung auf die gesamte Ukraine tausende unschuldige Opfer kostete.
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Von ihnen weiß die westliche Welt nicht zuletzt, weil es mutige Reporter gibt, die zum Beispiel in Mariupol blieben, so lange wie irgend möglich. Der in Charkiw geborene AP-Journalist und Pulitzer-Preisträger Mstyslav Chernov harrte im März 2022 mit einem kleinen Team in der Hafenstadt aus, als sie von den Russen belagert wurde.
20 von 87 Belagerungstagen waren sie mit der Kamera dabei, hockten bei Luftangriffen mit verängstigten Menschen in Kellern, begleiteten die Ambulanzen, filmten Notoperationen in überfüllten Krankenhäusern, auch in der Entbindungsklinik, die bombardiert wurde.
Chernovs dokumentarisches Tagebuch „20 Days in Mariupol“, das kürzlich auch beim Human Rights Film Festival in Berlin zu sehen war, enthält „graphic images“, wie er die AP-Redaktion bei der Übertragung des Materials per Satellitentelefon warnt. Kein Strom, kein Wasser, kein Internet, keine Verbindung zum Rest der Familie, zur Außenwelt, Verzweiflung, Panik, Todesangst. Tote Säuglinge, erschöpfte Ärztinnen, das Trauma des Mannes, der Leichensäcke in ein Massengrab werfen muss.: Es sind Bilder aus der Hölle. Sie gingen um die Welt.
Dass die hochschwangere Frau auf der Trage im Schlamm vor der zerstörten Klinik am Ende nicht überlebt hat, wissen wir dank des AP-Teams. Chernov und seine Kollegen überlebten, weil ein Polizist von Mariupol ihnen zur Flucht verhalf: Er wollte unbedingt, dass unsereins sieht, wie die russische Armee seine Stadt, seine Heimat, sein Leben zerstört. Ein Film wie eine Schockwelle, von Chernov mit leiser, tiefer Voiceover-Stimme kommentiert.