„Vernebelte“ Erinnerungen an Vorfälle in Vilnius: Shelby Lynn schildert erneut Begegnung mit Till Lindemann
Rund zwei Wochen, nachdem sie mit schweren Vorwürfen gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann die Diskussion um die Band ins Rollen gebracht hatte, hat sich die Nordirin Shelby Lynn einem ARD-Bericht zufolge erneut dazu geäußert.
Sie erfahre Solidarität, erhalte aber auch Morddrohungen, sagte die 24-Jährige dem NDR und der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) in einem Interview, das die ARD an diesem Sonntag ab 23.05 Uhr ausstrahlen wird.
Wie schon in ihren Twitter-Posts vom 25. Mai, mit denen sie die aktuelle Debatte um möglichen Machtmissbrauch und mutmaßliche sexuelle Übergriffe vor, während und nach Rammstein-Konzerten eröffnet hatte, beschreibt Lynn nun erneut eine ihren Angaben nach systematische herbeigeführte Begegnung mit Lindemann.
Demnach sei sie am 22. Mai auf eine sogenannte Pre-Party der Band vor deren Konzert im litauischen Vilnius eingeladen worden, wo ihr auch Alkohol angeboten worden sei. Ihre Erinnerungen an die Geschehnisse danach seien jedoch „wie vernebelt“ und bruchstückhaft, zitiert die ARD die Britin.
Allerdings könne sie sich daran erinnern, dass sie während einer Konzertpause in einen kleinen schwarzen Raum unter der Bühne geführt worden sei. „Oh nein, das ist falsch. Das ist schlecht. Das ist auf jeden Fall eine Sex-Sache“, habe sie dort gedacht.
Sie haben viel zu verlieren und eine Menge zu verbergen. Ich habe nichts zu verbergen.
Shelby Lynn
Als Lindemann kurz darauf im Raum erschienen sei, habe sie ihm dem Bericht zufolge gesagt: „Till, wenn du wegen Sex hier bist, dann ist das deine Sache. Ich will das nicht machen.“ Der 60-Jährige habe darauf „sehr wütend“ reagiert und sie angeschrien. Nähere Details zu der Situation gehen aus dem Bericht nicht hervor.
Lindemann hat sämtliche gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückgewiesen und lässt sich nunmehr anwaltlich vertreten. In einem entsprechenden Schreiben der Berliner Rechtsanwalte Simon Bergmann und Christian Schertz heißt es: „In den sozialen Netzwerken, insbesondere auf Instagram, Twitter und bei YouTube, wurden von diversen Frauen schwerwiegende Vorwürfe zulasten unseres Mandanten erhoben.“ Wiederholt sei behauptet worden, „Frauen seien bei Konzerten von Rammstein mithilfe von K.o.-Tropfen beziehungsweise Alkohol betäubt worden, um unserem Mandanten zu ermöglichen, sexuelle Handlungen an ihnen vornehmen zu können. Diese Vorwürfe sind ausnahmslos unwahr.“
Die Anwälte kündigten juristische Konsequenzen an. „Wir werden wegen sämtlicher Anschuldigungen dieser Art umgehend rechtliche Schritte gegen die einzelnen Personen einleiten.“
Die Nordirin Lynn hielt dies offenkundig nicht davon ab, sich gegenüber dem deutschen Medienteam zu äußern. Wie bereits in ihren Tweets gab sie in dem Gespräch an, nach dem Konzert blaue Flecke an ihrem Körper entdeckt zu haben, von denen sie nicht wisse, wie sie sich diese zugezogen habe. Sie sie „zu fast 100 Prozent sicher“, unter Drogen gestanden zu haben.
Nachdem sie ihre Erlebnisse öffentlich machte, habe sie eine enorme Resonanz erfahren, darunter allerdings neben Zuspruch auch Morddrohungen. Von der Band Rammstein habe sie eine Unterlassungsaufforderung erhalten, sagte sie in dem Interview.
Lynn äußerte sich davon unbeeindruckt. „Macht mich bankrott. Ist mir egal. Bringt mich vor Gericht“, sagte Lynn. „Ich habe keine Angst. Sie haben viel zu verlieren und eine Menge zu verbergen. Ich habe nichts zu verbergen.“ Laut dem ARD-Bericht habe die Band auf eine aktuelle Anfrage des NDR nicht geantwortet.
Litauische Polizei ermittelt nicht gegen Lindemann
Unterdessen gab die Polizei von Vilnius laut einem Bericht von „Bild“ und der litauischen Zeitung „Lietuvos rytas“ bekannt, keine Ermittlungen gegen Lindemann einleiten zu wollen. Demnach lägen keine verwertbaren Zeugenaussagen vor. Zudem fehlten notwendige Dokumente der nordirischen Polizei. Die Entscheidung müsse von der Staatsanwaltschaft noch genehmigt werden.
Nach den Anschuldigungen Lynns mit Bezug auf das Konzert in der litauischen Haupstadt hatten mehrere Frauen in den vergangenen Tagen – teilweise anonym – ebenfalls schwere Vorwürfe gegen Lindemann erhoben. Demnach seien junge Frauen gezielt für Sex mit dem Sänger rekrutiert wurden.
Auch von mutmaßlichen sexuellen Handlungen, denen sie nicht zugestimmt hätten, dem Einsatz von K.-o.-Tropfen und Machtmissbrauch am Rande von Konzerten war teils die Rede.
Kanzler Scholz verfolgt Berichterstattung
Die Band wies die Darstellungen zurück. Sie befindet sich gerade auf Deutschland-Tour. Nach dem letzten von vier Auftritten in München an diesem Samstag will Rammstein am 15., 16. und 18. Juli Konzerte im Berliner Olympiastadion geben.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verfolgt nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Hebestreit die aktuelle Berichterstattung über die Band Rammstein. Der Bundeskanzler lese nicht nur den politischen Teil der Zeitungen. Insofern sei das ein Thema, das auch er in den vergangenen Tagen intensiv verfolgt habe, hatte Hebestreit am Freitag bei einer Pressekonferenz auf eine entsprechende Nachfrage gesagt. Er sprach von Vorwürfen, „die aufgeklärt gehören“.
Auf weitere Nachfrage, ob Scholz Veränderungen in der Musikbranche für nötig halte, sagte der Sprecher, die Debatte darüber sei in der Branche zu führen. Er verwies zudem auf Äußerungen von Familienministerin Lisa Paus.
Die Grünen-Politikerin hatte vor wenigen Tagen gesagt, es müsse darüber geredet werden, wie gerade junge Menschen besser geschützt werden könnten. Sie lade die Musikbranche ein, dem Bündnis „Gemeinsam gegen Sexismus“ beizutreten. (Tsp, dpa, AFP)