Nach dem Herzstillstand von Football-Profi Hamlin: Eine Liga am Rande des Münzwurfs
Wenn jemand vorab ein Skript für den Auftakt des letzten Hauptrundenspiels der Buffalo Bills in der National Football League (NFL) in dieser Saison hätte schreiben müssen, wären sich Fiktion und Realität am Sonntagabend wohl sehr nahegekommen.
Aus dem Krankenhaus hatte der vor einer Woche kollabierte Bills-Profi Damar Hamlin gerade ein Foto von sich in den Sozialen Medien mit dem Wort „Gametime“ gepostet und darauf mit den Fingern ein Herz geformt, da trug Buffalos Nyheim Hines mit der ersten Aktion des Spiels gegen die New England Patriots den Ball nach dem Kick-off-Return direkt in die gegnerische Endzone. Reaktion von Hamlin im Krankenbett: „OMFG!!!!!!!!!!!!!“, was so viel wie „Ach du heilige Scheiße“ bedeutet und sein freudiges Erstaunen zum Ausdruck bringen sollte.
Das Spiel der Bills vor 72.000 Zuschauern im Highmark-Stadium zu Buffalo stand ganz im Zeichen von Damar Hamlin. Dessen Rückennummer 3 war auf allen Trikots und Kappen des Heimteams aufgedruckt, im Publikum brachten die Fans ihre Unterstützung für den 24 Jahre alten Safety mit Transparenten, Herzen und Gesängen zum Ausdruck. Hamlin, dem es inzwischen wieder besser geht, war am vergangenen Montag nach einem für Football-Verhältnisse normalen Zweikampf plötzlich zusammengebrochen und musste reanimiert werden. Das Spiel der Bills bei den Cincinnati Bengals wurde nach bangen Minuten der Wartezeit nicht mehr fortgesetzt, fortan war nur noch der Gesundheitszustand von Hamlin von Bedeutung.
Der Herzstillstand eines Profis während eines Spiels hat die NFL erschüttert. Die milliardenschwere Liga, das größte Sportbusiness der Welt, stand unter Schock. Nur langsam löste sie sich anschließend wieder aus ihrer Starre – und musste gleich weitreichende Entscheidungen treffen. Zunächst wurde entschieden, das Spiel Bengals gegen Bills nicht nachzuholen. Es fehlte schlichtweg an Terminen dafür so kurz vor dem Ende der Hauptrunde und den am 14. Januar startenden Play-offs.
Die Folgen sind für eine derart durchkommerzialisierte Profiliga bemerkenswert, wobei insbesondere Cincinnati und Buffalo davon betroffen sind. Die Bills gewannen am Sonntag ihr letztes Spiel 35:23, vor dem Hamlin-Unglück und dem daraufhin abgebrochenen Spiel bei den Bengals war das Team aus dem Bundesstart New York noch auf dem besten Weg, sich den ersten Platz in der American Football Conference (AFC) zu sichern, dadurch mit einem Freilos in die Play-offs zu starten und die folgenden Spiele bis zum Super Bowl vor eigenem Publikum austragen zu dürfen.
Auch die Bengals hätten Platz eins mit einem Sieg gegen die Bills theoretisch noch erreichen können, stattdessen stand drei Tage später plötzlich sogar ein Münzwurf um das Heimrecht in der ersten Play-off-Runde im Raum. „Das ist eine verlorene Chance für uns. Wir hatten die Kontrolle und haben sie jetzt nicht mehr“, schimpfte Cincinnatis Headcoach Zac Taylor und erklärte, dass er „nichts von fairen und gerechten“ Lösungen mehr hören wolle, wenn Regeln in letzter Minute geändert werden würden.
Nach den Spielen des Wochenendes steht nun fest, dass weder Bills noch Bengals die AFC als bestes Team der Hauptrunde beendet haben. Platz eins sicherten sich die Kansas City Chiefs mit einer Bilanz von 14 Siegen und drei Niederlagen vor Buffalo (13:3) und Cincinnati (12:4). Sollte es zu einem Finale um den AFC-Titel zwischen den beiden Topteams kommen, würde dieses Duell auf neutralem Platz ausgetragen werden – das verfügte die NFL in einem weiteren Beschluss als Folge des abgebrochenen Spiels vom vergangenen Montag.
Während die Bills nun eine Runde mehr bestreiten müssen als die Chiefs und den Heimvorteil in einem möglichen Duell mit Kansas City los sind, kommt es für die Bengals sogar noch dicker. Immerhin konnte das Münzwurf-Szenario durch den eigenen 27:16-Sieg gegen die Baltimore Ravens abgewendet werden, gegen denselben Gegner geht es nun auch in der ersten Play-off-Runde im eigenen Stadion. Sollte danach aber ein Duell mit Buffalo folgen, würde das Spiel im Highmark-Stadium stattfinden, dabei hätte Cincinnati bei einem Sieg im direkten Duell vor Wochenfrist selbst zu Hause spielen können. Doch dann ereignete sich das Hamlin-Drama.
Die Play-offs waren am Sonntagnachmittag aber zumindest in Buffalo noch weit weg. Die Bills-Spieler waren gefangen im Moment der Anteilnahme, der sich über die komplette Spielzeit hinzog. „Um die Wahrheit zu sagen: es war spirituell. Wirklich. Es ging mir durchs Mark. Es war einfach besonders“, meinte Quarterback Josh Allen noch sichtlich ergriffen nach dem Spiel. In der Umkleide meldete sich dann auch Damar Hamlin via Videoanruf bei seinen Teamkollegen: „Ich liebe euch, Jungs! Bills für 3, Bills für mich. 1-2-3 Bills“, teilte er laut Allen mit. Es klang fast schon wie ein Happy End.
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