Kasseler Verantwortliche bleiben fern
Nach dem Antisemitismus-Eklat bei der Documenta beschäftigte sich am Mittwochnachmittag der Ausschuss für Kultur und Medien des Bundestags mit der Kasseler Weltkunstschau, bevor sie dann am Donnerstag auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion auch im Bundestag diskutiert wird.
Ausgerechnet die Documenta-Verantwortlichen aus Kassel blieben jedoch der Anhörung fern. Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), der zuvor einen stärkeren Einfluss des Bundes bei der Weltkunstschau vehement abgelehnt hatte, ließ sich wegen Haushaltssitzungen in Kassel entschuldigen. Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann, deren Rücktritt vielstimmig gefordert wird, musste wegen Fieber ihre Teilnahme absagen. Mehrere Abgeordnete empfanden vor allem das Fernbleiben des Oberbürgermeisters, der auch Aufsichtsratsvorsitzender der Documenta ist, als Affront.
Zentralrat der Juden: Vertrauensverlust in die kulturelle Elite
Die von dem indonesischen Künstlerkollektiv Ruangrupa kuratierte Schau steht wegen antisemitischer Bildmotive in der Kritik. Das Banner „People’s Justice“ des Kunstkollektivs Taring Padi wurde abgehängt. Dafür, dass es gezeigt worden war, hat bislang niemand die Verantwortung übernommen.
Und auch bei der Anhörung wird wieder deutlich, wie stark man aneinander vorbeiredet. Es gibt unterschiedliche Vorstellungen davon, wie Verantwortung aussieht, ob der Kontext in der Kunst eine Rolle spielt und inwiefern unterschiedliche Traumata gemeinsam bearbeitet werden können.
Nach Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) sprach Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er konstatierte einen „massiven Vertrauensverlust der Juden in Deutschland in die kulturelle Elite“.
Es sei keine Demut eingekehrt bei den Kuratoren und Documenta-Verantwortlichen, sagte Botmann. „Dass Frau Schormann noch im Amt ist, ist eine Zumutung.“ Botmann forderte dazu auf, die Israel-Boykott-Bewegung BDS in der Kultur zu bekämpfen. Institutsleiter, die sich nicht daran hielten, BDS-Sympathisanten keine Bühne zu bieten, wie es die Bundestags-Resolution von 2019 empfahl, seien eine „Fehlbesetzung“. Häufig genannt wird dabei das Haus der Kulturen der Welt in Berlin und auch, allerdings nur einmal, das Potsdamer Einstein Forum.
BDS als strukturelles Problem in der Kulturszene
Ruangrupa-Mitglied Ade Darmawan erklärte noch einmal das kuratorische Kollektiv-Prinzip, die geteilte Verantwortung und verwies auf den Import des europäischen Antisemitismus nach Indonesien, was nicht alle Angeordneten gelten lassen wollten. Zum ersten Mal nahm er konkret Stellung zu dem Vorwurf, dass jüdisch-israelische Künstler bei der Documenta nicht eingeladen worden seien.
„Es gibt keinen stillen Boykott gegen Israel oder gegen Juden“, sagte Darwaman. Jüdische und israelische Künstler seien bei der Documenta vertreten, würden auf eigenen Wunsch namentlich nicht genannt, da sie mit dem Konzept des Nationalstaats nicht in Verbindung gebracht werden möchten. In dieser Form kann seine Versicherung kaum zur Vertrauensbildung beitragen.
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Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) sprach in ihrem Statement von „Versagen in der Planung und Durchführung der Documenta“, vom Versagen der kuratorischen Arbeit und vom „Wortbruch“, auch ihr gegenüber. „Die Bekämpfung des Antisemitismus muss global sein, so wie der Antisemitismus global ist“, sagte sie.
Gitta Connemann, Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion betonte, es gehe um mehr „als um ein Bild“. Auch sie sieht ein strukturelles BDS-Problem in der Kulturszene. Auf Connemanns Frage an die hessische Kunstministerin Angela Dorn, wann Sabine Schormann als Documenta-Generaldirektorin entlassen werde, verwies Dorn an den Documenta-Aufsichtsrat. Der werde bald eine Sondersitzung einberufen. Schormann trage keine künstlerische Verantwortung, müsse aber ihr Handeln selbst hinterfragen, so Dorn. Dorn steht hinter der Forderung, den Einfluss des Bundes auf die Documenta zu stärken, kritisiert den Alleingang von Kassels Oberbürgermeister und lobt die Kulturstaatsministerin.
Postkolonialer Diskurs ohne Kompromisse
Der SPD-Abgeordnete Helge Lindh plädiert dafür trotz allem, die konsequente Aufarbeitung des Kolonialismus nicht aufzugeben. Es dürfe allerdings keine Kompromisse in Bezug auf Antisemitismus geben. Zensur und politische Prüfungsgremien seien keine Lösung, kommentiert er gegenüber dem Tagespiegel. Wohl aber sei es eine politische Frage, wie Kuratorenposten besetzt werden.
Auch die Findungskommission der Documenta 15 steht in der Kritik, weil Teile ihrer Mitglieder die „Initiative GG 5.3. Weltoffenheit“ unterstützen, die sich kritisch gegen die BDS-Bundestagsresolution ausspricht und einen generellen Ausschluss von BDS-Befürwortern nicht für richtig hält.
Der AfD-Abgeordnete Marc Jongen nutzte die Gelegenheit im Kulturausschuss gleich dem gesamten postkolonialen Diskurs eine Absage zu erteilen. „Postkolonialismus soll nicht Maßstab unserer Kultur sein.“
Union fordert Untersuchungsausschuss
Am Donnerstag wird der Documenta-Skandal im Bundestag debattiert. Die Union dringt in ihrem Entschließungsantrag auf „transparente und konsequente Antworten“ auf den Eklat. Es sei „völlig unverständlich, dass bislang keine personellen Konsequenzen gezogen wurden“, sagte die kulturpolitische Sprecherin Christiane Schenderlein zum Antrag. „Die Uneinsichtigkeit der Verantwortlichen vor Ort erschwert eine ehrliche und schonungslose Aufarbeitung.“
Die Union will laut Antrag eine unabhängige Untersuchungskommission eingesetzt wissen, „die Fehlplanungen, Fehlprozesse sowie Fehlentscheidungen aufzeigt sowie personelle Verantwortlichkeiten benennt“. Der Antisemitismusbeauftragte solle einen Bericht vorlegen, in dem Tragweite und Folgen des Skandals bewertet würden. Planungen für die nächste Documenta in fünf Jahren sollten zurückgestellt werden, bis der Skandal aufgearbeitet sei und daraus entsprechende Maßnahmen folgten. Der Antrag sieht auch vor, „personelle Konsequenzen bei der Documenta zur Bedingung der Weiterförderung der Documenta mit Bundesmitteln zu machen“. (mit dpa)