Bist du bereit für den Himalaja?
Zu Lebzeiten war er der Größte, ein Halbgott im Frack, verehrt von Millionen. Doch nach seinem Tod 1989 begann der Glanz, der Herbert von Karajan stets umgeben hatte, erstaunlich schnell zu verblassen. Die Ästhetik seiner Konzertmitschnitte gilt mittlerweile als hoffnungslos veraltet, seine zahllosen Einspielungen des Klassik-Kanons sind zwar noch zu kaufen, viele der Interpretationen aber werden von aufregenderen Aufnahmen jüngerer Maestri überstrahlt. Ungebrochen aber wirkt aus Karajans reichem Erbe bis heute eine Pioniertat nach: die Gründung der Orchesterakademie der Berliner Philharmoniker 1972.
Zusammen mit finanzstarken Freunden aus der Wirtschaft verwirklichte der Dirigent vor einem halben Jahrhundert eine revolutionäre Idee. Weil die Studierenden an der Musikhochschulen zwar zu Virtuosen auf ihren Instrumenten ausgebildet, aber nicht ausreichend auf die Arbeit im Orchester vorbereitet werden, sollte die Elite der Absolventen die Gelegenheit bekommen, die Arbeit im sinfonischen Kollektiv bei den Besten kennenzulernen: eben bei Karajans Philharmonikern. Als Stipendiaten können sie seitdem zwei Jahre lang nicht nur bei Proben und Konzerten mitspielen, sondern erhalten auch praxisorientierten Einzelunterricht von den erfahrenen Profis.
50 Stipendiaten haben den Sprung ins Orchester geschafft
Nicht alle Herren Musiker waren damals gleich von der Idee begeistert, Grünschnäbel in ihren Reihen zu dulden, selbst mit ehrenwerter pädagogischer Absicht. Doch Karajan setzte sich durch – und die Idee machte Schule. Deutschlandweit gibt es heute kaum ein Orchester, das nicht seine eigenes Trainee-Programm betreibt. Pünktlich zum 50. Gründungsjubiläum konnte die Karajan-Akademie jetzt außerdem vermelden, dass von den 128 Philharmoniker:innen 50 Stipendiaten gewesen sind (das Jubiläumskonzert findet am 7. Mai um 19 Uhr in der Philharmonie statt. An diesem Tag erscheint auch eine Festschrift (132 Seiten, 10 Euro).
Leonard Bernstein, Karajans größter Konkurrent, erschloss neue Publikumsschichten durch seine populären Fernsehsendungen, in denen er Klassik erklärte. Karajan kümmerte sich lieber um den professionellen Nachwuchs: Er veranstaltet einen Wettbewerb für junge Dirigent:innen, rief ein Jugendorchestertreffen ins Leben und gründete die Akademie. Dabei war er nicht auf den eigenen Ruhm bedacht – die Exzellenzinitiative trägt erst seit 2017 seinen Namen.
Peter Riegelbauer leitet die Karajan-Akademie
Peter Riegelbauer hatte die Idee dazu. 1980 war er von der Nürnberger Musikhochschule zur Akademie gekommen und hatte schon im Jahr darauf das Probespiel für eine Kontrabass-Stelle gewonnen – als erster Akademist überhaupt. Weil ihn neben der Musik auch das Management interessiert – zwölf Jahre lang war er im Orchestervorstand –, zögerte Riegelbauer nicht lange, als ihm 2015 die Leitung des Nachwuchsförderprogramms angetragen wurde.
Als ehrenamtlicher Geschäftsführer des Trägervereins hat er eine Basisförderung durch Bundesgeld klargemacht, neue Sponsoren wie Google oder das Siemens Arts Program gewonnen, Kooperationen mit Australien und Japan geschlossen. So konnte die Zahl der Akademieplätze auf 38 erhöht werden.
Petrenko dirigiert Beethoven beim Jubiläumskonzert
Riegelbauer organisiert mit seinen beiden Assistentinnen Auftritte für seine Schützlinge im Ausland sowie die kostenlose Berliner Konzertreihe „carte blanche“, bei der die Stipendiaten ihre Kammermusikprojekte vorstellen können. Welchen Stellenwert die Karajan-Akademie heute im Orchester hat, lässt sich auch daran ablesen, dass Chefdirigent Kirill Petrenko fürs Jubiläumskonzert Beethovens Fünfte mit den jungen Leuten erarbeitet.
Musiker sind Hochleistungssportler, aber Peter Riegelbauer weiß aus eigener Erfahrung, dass selbst von den Top-Hochschulabsolventen die wenigsten den Mut aufbringen, sich sofort um eine Festanstellung bei den Berlinern zu bewerben. Schließlich ragt der Ruf des Orchesters so einschüchternd auf wie der Himalaja. Über die Karajan-Akademie hier Einblicke gewinnen zu können und von den altgedienten Musikern Klettertipps zu erhalten, erscheint da als idealer Einstieg ins Berufsleben. Egal, ob es sich dann in der Philharmonie selber fortsetzt oder an einem anderen Ort.