„Twitch ist ein revolutionärer Weg“
Kaweh Niroomand, 68, ist Manager der BR Volleys, Sprecher der sechs großen Berliner Profiklubs und war bis vor Kurzem Vizepräsident des Deutschen Olympischen Sportbundes. Im Interview spricht er über das neue Format und Zielgruppen des Internetstreams.
Herr Niroomand haben Sie Twitch?
Nein, noch nicht, aber ich werde es mir rechtzeitig vor der Saison einrichten.
Wussten Sie, was Twitch ist, bevor klar war, dass die Ligaspiele im Volleyball der Männer zukünftig dort gezeigt werden?
Ja, was es ist, wusste ich. Aber wie populär es ist und wie sehr es die jüngere Bevölkerung interessiert, wusste ich nicht. Das ist ein richtig neuer Weg, den wir da gehen, und wenn man sieht, dass in anderen Leitkanälen wie Sport 1 der Altersdurchschnitt sehr hoch ist, teilweise bei circa 60 Jahren liegt, dann ist es auch vollkommen richtig und nur konsequent.
Also ist es für den Volleyball auch eine Möglichkeit neue Zielgruppen zu erreichen?
Ja, wir müssen das schaffen. Der Volleyball hat in den letzten Jahren insgesamt sehr viele Mitglieder deutschlandweit verloren. In den letzten 20 Jahren haben wir über 130.000 Mitglieder verloren, mittlerweile stehen wir bei etwa 400.000. Ein Weg, das zu ändern, ist natürlich an Zielgruppen ranzugehen, die jünger sind. Dafür müssen wir auch dorthin gehen, wo diese Menschen sich aufhalten und das sind solche Plattformen wie Twitch.
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Ist die Entscheidung eine Reaktion auf die größtenteils zuschauerlosen Spiele in der vergangenen Saison?
Nein, damit hat das nichts zu tun. Unser Vertrag mit Sport 1 lief aus und das haben wir als Anlass genommen, um grundsätzlich über die Medienstrategien nachzudenken. Da standen wir vor der Frage: Wollen wir einige wenige Spiele im Live-Fernsehen zeigen? Oder wollen wir uns die Plattformtechnologie zugrunde legen und damit das Thema aufmachen für ein weitaus größeres Publikum? Ich denke, dass das Thema Streaming sowieso für viele Sportarten in Zukunft national und besonders international immer interessanter wird. Da wird die Volleyball-Bundesliga der Männer ein Vorreiter sein.</SB>
Es ist ja eher ungewöhnlich, dass alle Bundesligisten sich dafür zusammengeschlossen und das entschieden haben …
Ja, wir haben das tatsächlich in einer kleinen Revolte gemacht. Wir haben uns als Männer-Bundesligisten versammelt, zunächst sogar außerhalb der offiziellen Sitzungsreihen der VBL und uns Gedanken gemacht. Dafür wurde eigens eine eigene Arbeitsgruppe gebildet. Natürlich haben wir die Dachorganisation später eingeweiht – aber die Initiative ging von den Männer-Bundesligisten aus.
Was sind die Vorteile dieser Plattform?
Das Entscheidende ist, dass die Übertragung von Volleyball bei Sport 1 nicht gut gerahmt ist. Einmal ist es sogar passiert, dass ein wichtiges Spiel nach dem vierten Satz unterbrochen wurde und der entscheidende Satz nicht gezeigt wurde. Daran sieht man, wie wichtig der Sport für den Sender war. Von daher war uns klar: Wir müssen den Volleyball dahingehend populär darstellen, dass wir ein Rahmenprogramm aufbauen. Es muss ein Event sein, wenn man Volleyball schaut. Vorher, nachher und während des Spiels.
Während der Pandemiezeit haben wir das trotz unserer geringen Mittel ganz gut umgesetzt, indem wir eigene Studios aufgebaut haben und Leute, die was vom Volleyball verstehen, die Spiele kommentiert haben. Es gab interessante Gesprächspartner und Podcasts, und das hat uns auch gezeigt: Das ist der richtige Weg. Nicht ohne Grund hatten die Volleys einen Zuschauerdurchschnitt von 5000 Menschen.
Die Wochenend-Spiele wurden zeitlich hintereinander angesetzt, was so genannte „Double Header“ ermöglicht. Hatte die Entscheidung, Twitch zu nutzen, dementsprechend Auswirkungen auf die Planung der nächsten Saison?
Ja, wir haben den Spielplan extra umgestellt. Wenn jemand Lust hat, könnte er den ganzen Nachmittag und sogar das gesamte Wochenende die Volleyball-Bundesliga schauen. Wir haben das aber auch in dem Bewusstsein gemacht, dass das Verhalten der Zuschauer immer kurzatmiger wird.
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Vielleicht guckt man nicht jedes Spiel von Anfang bis zum Ende, man kann auch reinschalten und zwischendurch was anderes gucken. Insgesamt ist Twitch ein revolutionärer Weg. Die Spiele werden aber nicht nur auf dem Twitch-Kanal Spontent, sondern auch bei Sportdeutschland TV zu sehen sein. Alles unter der neuen Marke Bounce House.
Besteht nicht das Risiko, dass die Fans dann eher zuhause bleiben und nicht in die Halle kommen?
Das Ziel ist natürlich, dass wir genügend Fans in der Halle haben, soweit das während der Pandemie eben möglich ist, weil das Hallen-Fanerlebnis durch nichts ersetzbar ist. Dafür machen wir Sport. Aber wichtig ist, dass die Community deutschlandweit so groß wird, dass wir dann an allen Standorten bei den Heimspielen davon profitieren. Das passiert aber nur, wenn der Zugang zu den Spielen groß ist.
Wenn man zum Beispiel in Süddeutschland sieht, wie toll die BR Volleys spielen, dann will man sich auch ein Spiel bei Unterhaching gegen die Volleys anschauen. Genau das ist der Effekt, den wir anstreben und da müssen wir den Ball ins Rollen bringen.
Ist Ihre Befürchtung, dass die Bindung zu den Fans durch Corona abgenommen hat, eingetroffen?
Ein bisschen ist sie eingetreten, ja. Man merkt in allen Sportarten, dass diese Selbstverständlichkeit, jeden Samstag oder Sonntag zu seinem Heimatverein zu gehen, nicht mehr da ist. Es ist eine Distanz entstanden, teilweise sind andere Gewohnheiten oder Hobbies hinzugekommen. Und all das führt dazu, dass wir nicht eins zu eins dort weitermachen können, wo wir im März 2020 aufgehört haben. Aber das wussten wir und darauf haben wir uns mithilfe von digitalen Formaten vorbereitet. Es wird uns zwei, drei Jahre kosten, um den alten Stand zu erreichen, aber das ist okay. Diese Herausforderung nehmen wir an.
Aktuell sieht es ja auch so aus als seien Fans zum Saisonstart am sechsten Oktober zugelassen.
Ja, es sieht so aus, als wenn wir mit Fans spielen dürfen. Jetzt müssen wir schauen, wie die Vorgaben dann sind, sodass wir zumindest mit Zuschauern im Unterring spielen dürfen.