Wo der Holocaust beschlossen wurde
Es gäbe gute Gründe, den 20. Januar zum Hauptgedenktag an den Holocaust zu machen. Vor 80 Jahren planten 15 hohe Vertreter der SS und der Ministerien des NS-Staats in einer Villa am Wannsee den Völkermord an den europäischen Juden.
Wer den Schauplatz besucht und die Dokumente der Dauerausstellung liest, den befällt ein Grauen über die Kälte der bürokratisch-abstrakten Sprache, in der die Täter die industrielle Vernichtung von Millionen Menschen einleiteten.
Die Einladung beschwört den von Hannah Arendt geprägten Begriff der „Banalität des Bösen“ herauf. Bei einer „Besprechung mit anschließendem Frühstück“ sollten die „in Betracht kommenden Zentralinstanzen“ über „die mit dieser Endlösung zusammenhängenden Arbeiten“ beraten.
Das Entsetzen wächst beim Lesen der 15 Biografien. Den Schreibtischtätern fehlte es nicht an Bildung, mehrere hatten promoviert.
Die Bilder vom Grauen der KZs sind mächtiger
Warum wurde der 27. Januar zum Gedenktag an den Holocaust – in Erinnerung an die Befreiung des KZs und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau 1945? Was dort und in unzähligen anderen Mordfabriken der Nazis geschah, fern der deutschen Grenzen, ist auf die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 in der deutschen Hauptstadt zurückzuführen.
Gewiss, das massenhafte Töten von Juden hatte früher begonnen. Aber sie markiert den Wendepunkt im Denken der Täter von der Entrechtung jüdischer Mitbürger, dem Ausreise- und Umsiedlungsdruck, dem Einsperren in Ghettos und der Deportation in Arbeitslager zum gezielten Genozid, dem alle europäischen Juden zum Opfer fallen sollten.
Die Villa am Wannsee ist ein monströser historischer Ort mitten in Berlin. Hat er den ihm gebührenden Platz im deutschen Gedächtnis? Die Zahl der Besucher – 80.000 im Jahr – liegt weit unter der der KZ-Gedenkstätten. Die wirkmächtigen Bilder im kollektiven Gedächtnis entstammen den Vernichtungslagern: zum Skelett abgemagerte Gestalten in Häftlingskleidung, das schmiedeeiserne Tor „Arbeit macht frei“, die Rampe, die Baracken, die „Duschen“, die Zyklon-B-Dosen, die Verbrennungsöfen.
Das Singuläre am Holocaust: Geplanter industrieller Massenmord
Es geht nicht darum, den 20. gegen den 27. Januar aufzurechnen. Die Planung des industriellen Völkermords und sein Ende im größten Vernichtungslager gehören zusammen. Sie eröffnen zugleich unterschiedliche Perspektiven – ähnlich wie das Daniel Libeskind mit seiner genialen Architektur im Jüdischen Museum und den drei Achsen des Exils, des Holocausts und der Kontinuität gelungen ist.
Dieser 80. Jahrestag stellt die Deutschen jedoch vor die unbequeme Frage, warum der Tag der Wannseekonferenz so wenig Bedeutung im Gedenken hat – als wolle die Gesellschaft ihn aussperren. Es ist der Tag, an dem geplant wurde, was den Holocaust aus den anderen Völkermorden heraushebt und in der Geschichte der Verbrechen gegen die Menschheit singulär macht.
Über Jahrzehnte fehlte der politische Wille, den historischen Ort überhaupt als Gedenkstätte zu sichern. Sie wurde erst 1992 eröffnet. Die Nutzung als Schullandheim war wechselnden Landesregierungen wichtiger – ein denkwürdiger Kontrast zu den Entscheidungen, KZs zu Gedenkstätten zu machen, die bereits in den 1950er Jahren fielen. Die Dokumente zur Wannseekonferenz lagen bereits bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen vor.
Trockenes Papier mit wenige SS-Runen und Worten, die verschleiern
Ja, die Unterlagen sind trocken. Sie lassen sich nicht in einen leicht konsumierbaren Spielfilm mit den gewohnten Symbolen der NS-Diktatur pressen. Die todbringende Besprechung 1942 spielte sich nicht unter wehenden Hakenkreuzflaggen im XXL-Format ab, es knallten keine Soldatenhacken, es geiferten keine Schäferhunde.
Da ist vor allem Papier mit wenigen SS-Runen und abstrakten Worten, die verschleiern sollen, was gemeint ist. Es bleiben Fassungslosigkeit und Entsetzen. Aber auch der Instinkt, dass mehr Menschen diesen 20. Januar 1942 kennenlernen müssen, damit es nie wieder geschieht.