Streit um „Tim und Struppi“ beigelegt
Mitte Januar erhielten Händler vom Kölner Fachvertrieb Atomax einen Newsletter, in dem ihnen die Auslieferung des Comic-Albums „Tim in Amerika“ als Farbversion des Originalalbums angekündigt wurde. Das kam einigermaßen überraschend, denn genauso wie die moderne Version dieses „Tim und Struppi“-Bandes sind alle anderen Alben der Serie eigentlich beim Hamburger Carlsen-Verlag beheimatet.
Mit der angekündigten Klassiker-Edition drängte aber erstmals die belgische Editions Moulinsart auf den deutschen Markt vor, die den Erben des „Tim und Struppi“-Schöpfers Hergé gehört.
Deshalb wurde sofort der Carlsen-Verlag aktiv und stellte gegenüber dem Atomax-Vertrieb in Frage, dass dieser für Moulinsart die Klassiker-Ausgabe von „Tim in Amerika“ vertreiben dürfe. Daraufhin setzte der Vertrieb die Auslieferung zunächst aus.
Auf Seiten von Atomax sei man daran interessiert, betonte damals Thomas Schützinger, der Chef des Vertriebs, eine einvernehmliche Lösung zu finden, um gemeinsam mit Carlsen die Marke „Tim und Struppi“ weiter auf dem deutschen Markt voranzubringen.
Und genau diese Lösung scheint nun auf dem Tisch zu liegen. Denn sowohl der Carlsen-Verlag wie auch Atomax kündigten jetzt an, dass ab dem 1. Juli die Auslieferung der kolorierten Klassiker-Ausgabe von „Tim in Amerika“ startet. Die Bände dürften also insbesondere im Comic-Fachhandel bereits ab Samstag angeboten werden. Jedem ausgelieferten Band, so die Abmachung, wird zudem ein Prospekt durch Atomax beigelegt, in dem die gesamte „Tim und Struppi“-Backlist bei Carlsen beworben wird.
Unzufrieden mit dem internationalen Lizenzgeschäft
Vorausgegangen war der Auseinandersetzung in Belgien ein Zerwürfnis zwischen Moulinsart und dem Verlag Casterman, der seit 1934 „Tintin“ – so der Originaltitel der Serie – auf Französisch veröffentlicht und über den auch Carlsen seine Lizenz für die deutsche Ausgabe besitzt. Insbesondere über das internationale Lizenzgeschäft ist man bei Moulinsart schon länger unzufrieden.
Zudem gab es Unstimmigkeiten bei neuen Buchprojekten und auch die viel beachtete Versteigerung eines „Tim und Struppi“-Originals, das Hergé einst einem Sohn der Casterman-Familie schenkte, erfolgte unlängst gegen den Wunsch der Hergé-Erben, die so ein Exponat lieber in ihrem Museum in Louvain-la-Neuve bei Brüssel gesehen hätten.
Dort wird ein Großteil des künstlerischen Erbes Hergés verwaltet und in einer kontinuierlich überarbeiteten Dauerausstellung dem breiten Publikum zugänglich gemacht. Es handelt sich hierbei aber auch um ein konsequent abgeschlossenes Werk, da Hergé verfügte, dass keine Serie von ihm – insbesondere „Tim und Struppi“ – nach seinem Tod von anderen Künstlern fortgesetzt werden dürfe.
Deshalb erscheinen anders als bei anderen franko-belgischen Comic-Klassikern wie „Asterix“, „Lucky Luke“ oder „Spirou und Fantasio“ heutzutage von „Tim und Struppi“ keine neuen Alben mehr. Umso größere Bedeutung kommt so der Veröffentlichung von besonderen Versionen der bekannten Abenteuer bei „Tim und Struppi“ zu.
Sehnsucht nach „neuen“ Alben des Klassikers
Der Carlsen-Verlag brachte deshalb vor Jahren eine sehr gelungene Edition von sogenannten Farbfaksimile-Alben heraus, die die Geschichten in der ursprünglichen Form vor den teilweise gravierenden späteren Bearbeitungen im Hergé-Studio präsentieren. Und in den 1990er Jahren gab es sogar schon eine Schwarzweiß-Reihe mit den ganz frühen Abenteuern in der Fassung, in der sie ursprünglich vor dem Krieg in der Zeitungsbeilage „Le Petit Vingtième“ abgedruckt wurden.
Auf dieser frühen Version basiert auch das neukolorierte „Tim in Amerika“-Album, das ursprünglich das dritte Abenteuer von Tim und Struppi markierte. Deshalb gibt es in dieser Reihe auf Französisch auch schon zwei Vorläuferbände. 2017 erschien noch bei Casterman „Tintin au Pays des Soviets“ als kolorierte Urversion, die ein großer Bestseller werden sollte und unterstrich, wie sehr das Publikum nach „neuen“ Comic-Alben dieses Klassikers giert.
Auch auf Deutsch wurde diese Ausgabe von „Tim bei den Sowjets“ vom Carlsen angekündigt, durfte hierzulande dann aber nicht erscheinen, da der Hamburger Verlag keine Einigung mit den Editions Moulinsart erzielen konnte.
Noch vertrackter sollte sich dann die Situation zwei Jahre später darstellen, als auf Französisch die kolorierte Urversion von „Tintin au Congo“ anstand. Denn diese verantworteten jetzt Editions Moulinsart ganz alleine.
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Da es aber nur eine digitale Ausgabe für die „breite Masse“ und gedruckt lediglich eine kleine Sonderauflage von 500 Exemplaren für gute Freunde und Geschäftspartner geben sollte, spricht einiges dafür, dass ursprüngliche Planungen – mit dem Partner Casterman? – nicht mehr umgesetzt werden konnten, sich Moulinsart aber auch den Vertrieb einer großen Druckauflage auf eigene Faust noch nicht zutraute.
Das schien dieses Jahr anders zu sein. Denn nicht nur, dass Moulinsarts jetzt auch mit einer regulären Printausgabe der neuen „Tim in Amerika“-Edition herauskam, diese erschien parallel nicht nur auf dem französischsprachigen, sondern auch auf weiteren internationalen Buchmärkten – und jetzt also auch noch auf dem deutschsprachigen.