Frage des Tages zur Berlin Art Week: Ist die Kunst derzeit zu politisch?
Kunst und Politik sind nie so richtig voneinander zu trennen. Kunst hat den Finger am Puls der Zeit. Sie thematisiert Missstände und stellt unbequeme Fragen, unterschiedliche politischen Ansichten prallen aufeinander. Das schafft Reibung aber es gehört zu einer freien Gesellschaft dazu. Oftmals widerspricht das, was in der Kunst geäußert wird, weit verbreiteten Standpunkten. Konflikte sind sozusagen ein Dauerzustand.
In den vielen Diskussionen, die es in den vergangenen Monaten gab, zum Beispiel zur Documenta, hatte ich nicht mehr den Eindruck, dass es um eine sachliche Auseinandersetzung geht. Grundrechte dürfen nicht missachtet werden. Antisemitiche Bilder bei der Documenta muss man ablehnen. Aber ich wünsche mir eine differenzierte Betrachtung. Das hat gelitten in der letzten Zeit, aber nicht nur in der Kunst, sondern im gesamten politischen Diskurs.
Ich finde es schade, dass bei der Documenta die Arbeit der letzten Jahre von so vielen Beteiligten verneint und pauschal abgeurteilt wurde. Dass danach gerufen wurde, die Ausstellung zu schließen, finde ich falsch. Das Schlimmste, was man machen kann, ist der Ruf nach der Politik, um Kunst zu verbieten. Genau das sollte in Deutschland auf gar keinen Fall geschehen, in keiner freien Gesellschaft.
Ob ich mir vorstellen kann, dass die Documenta nach den jüngsten Beanstandungen eines Filmprogramms geschlossen wird? Nein, eine Ausstellung aufgrund einzelner Arbeiten komplett zu schließen, würde einem sehr weitreichendenstaatlichen Eingriff gleichkommen, der alle Beteiligten pauschalisiert bestraft. Das wäre sehr bedenklich und ich halte das eigentlich auch nicht für möglich. Es müsste ein konkreter Straftatbestand vorliegen. Man kann einzelne Werke kritisch hinterfragen. Aber man sollte gerade diese Erfahrung als Teil des Diskurses ansehen.
Die Frage, ob etwas von der Kunstfreiheit gedeckt ist oder nicht, stellt sich in meiner beruflichen Praxis nahezu täglich. Sam Bardaouil und ich haben in sehr vielen unterschiedlichen Ländern auf der Welt gearbeitet. Die Frage nach Tabus, danach, was man in der Öffentlichkeit sagen kann, wird in verschiedenen Ländern und Kulturen anders beantwortet. Wer eine Stimme in der Öffentlichkeit hat, sollte genau abwägen, ob er Empfindungen verletzen, ob er provozieren will.
Eine Aufgabe von Kunstinstitutionen ist es, Diskurse zu erweitern, Menschen in Themen miteinzubinden, gerade Menschen, die eine andere Meinung vertreten. Dass Ansichten aufeinanderprallen gehört dazu. Man sollte hingegen vermeiden, Menschen persönlich zu verletzten. Das ist das Gegenteil von Öffnung.
Auch bei der Berlin Biennale gab es Kontroveresen um ein Werk
Bei der Berlin Biennale kam es zu Kontroversen rund um eine Installation des Künstlers Jean-Jacques Lebel, die im Hamburger Bahnhof zu sehen war. (Irakische Künstler kritisierten Lebels Arbeit mit vergrößerten Folterbildern aus Abu Ghraib und wollten ihre Werke nicht in räumlicher Verbindung dazu ausstellen. Anm. d. Red.). Die Arbeit zu zeigen, war eine Entscheidung des Kurators Kader Attia. Es ist gut, dass er sich mit den beteiligten Künstler:innen auseinandersetzt und versucht einen Konsens zu finden.
Die Arbeit war schon vorher an vielen Orten zu sehen, etwa in Paris im Palais de Tokyo. Dass sie hier zu Konfrontationen geführt hat, ist Teil des Diskurses, das muss man aushalten. Man kann sich entschuldigen – wie es die Biennale getan hat. Die Künstlerinnen haben entschieden, ihre Werke zurückzuziehen. Auch dass gilt es zu akzeptieren.
Politisierung in der Kunst hat aber auch noch einen anderen Aspekt. Kulturelle Budgets werden zunehmend hinterfragt, nicht nur vor dem Hintergrund der Energiekrise. Auch die Frage, ob der Bund die Documenta weiterhin finanzieren soll, politisiert die Institution. Man benutzt die Vorfälle als Druckmittel, um eine Kultureinrichtung in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Beim Hamburger Bahnhof steht aktuell die Zukunft der Rieckhallen auf dem Spiel (die Hallen gehören der Immobilienfirma CA Immo, die mit Abriss droht, Anm. d. Red.). Demnächst wird die Frage eines möglichen Gebäudetausches in den zuständigen Ausschüssen behandelt. Die Frage ist: Bekennt sich die Politik zur Kunst, gibt sie die benötigten Ressourcen frei? Falls nicht halbiert sich die Ausstellungsfläche des Hamburger Bahnhofs, und somit auch der Raum für einen freien künstlerischen und gesellschaftlichen Diskurs.
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