András Schiff spielt Haydn: Brüder im Geiste

Wenn András Schiff in der Musik Joseph Haydns „die Gegenüberstellung von Erwartungen und Überraschungen, von Konventionellem und Unkonventionellem“ erkennt, dann gilt das auch für ihn selbst: Der Meister aus Ungarn zelebriert das Klavierspiel einerseits auf denkbar traditionellste Weise, überrascht aber anderseits auch immer mit ungewöhnlichen Konzertformaten.

Die Stücke nicht nur zu interpretieren, sondern auch zu moderieren, zu erklären, das praktiziert er schon lange. Am Donnerstag im Boulez Saal verlangt er von seinem Publikum nochmal ein neues Niveau von Offenheit und Aufgeschlossenheit: Das Programm ist nicht bekannt, nur „Haydn“ steht auf dem Zettel – und der Saal ist voll. 

Zum Einstieg ein Jugendwerk: Capriccio in G-Dur von 1765, komponiert auf das derbe Volkslied „Acht Sauschneider müssen sein“. Für Uneingeweihte: Es geht um die Kastration eines Ebers. Was Haydn in der Abgeschiedenheit von Schloss Esterházy daraus macht, ist erstaunlich: Schiff demonstriert eine Passage mit insgesamt 24 Modulationen, bis C-Dur erreicht ist – und spielt das Stück gleich nochmal.

Zen-Meister der Klassik

Zeit und Aufmerksamkeit, bekanntlich der größte Luxus in der Epoche von Snapchat und Instagram: Schiff nimmt sich die eine, fordert die andere ein, auch dies charakteristisch für seine Konzerte. Mit gefalteten Händen dankt er jedem Applaus, ein Zen-Meister der Klassik, dessen dunkel aufgerauter, von trockenem Humor durchzogener Stimme man sich gerne anvertraut: „Von den großen Komponisten ist Haydn der unterschätzteste“, sagt er, „für Mozart und Beethoven muss man nicht kämpfen. Man kann sie nur kaputt machen.“ Auch auf Englisch erklärt er die Stücke, und wer jetzt weghört, verpasst vieles, denn er liefert hier andere Informationen als auf Deutsch.

Mit am stärksten sind Schiffs Programme dann, wenn er Details erklärt und wiederholt. Das ist an diesem Abend nicht immer der Fall, teilweise stapelt er etwas zu sehr Sonate auf Sonate (g-Moll von 1768 und c-Moll von 1770). Doch sein Einsatz für die Klavierliteratur Haydns, der selbst erstaunlicherweise kein Virtuose auf dem Instrument war, ist genuin und ehrlich: „Ich finde, Mozarts Musik ist kantabel, vom Singen her gedacht. Haydn schreibt eine sprechende Musik, sie ist deklamatorisch.“

Sprechen bedeutet auch Schweigen, immer wieder setzt Haydn Stille ein, wie in der Fantasia C-Dur aus dem Revolutionsjahr 1789: eine plötzliche Pause, die laut Haydnscher Anweisung „tenuto infanto finché non si sente più il suono“ so lange gehalten werden soll, bis der Ton gänzlich verklungen ist. Schiff wartet es nicht gänzlich ab: „Das wurde für Cembalo komponiert“, erklärt er, „wollten wir mit diesem modernen Bösendorfer den Klang tatsächlich vollkommen verhallen lassen, müssten wir hier lange sitzen.“ Auch im Humor ist er Haydns Bruder im Geiste.  

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