Amnesty kritisiert weitere Menschenrechtsverletzungen in Katar
In einem Jahr findet in Katar die Fußball-Weltmeisterschaft statt, für die sich Deutschland bereits qualifiziert hat. Amnesty International hat nun eine erste Bilanz gezogen, was sich hinsichtlich der arbeitsrechtlichen Situation im Golfstaat seit Vergabe der WM geändert hat. Diese fällt ernüchternd aus.
Aus dem neuen Bericht geht hervor, dass die Fortschritte für Arbeitsmigrant*innen stagniert sind. Einige menschenrechtwidrige Praktiken sind sogar wieder aufgetaucht. „Der jetzige Bericht ist deutlich ernüchternder als bisherige Berichte, aus denen man zumindest einen verhaltenden Optimismus herauslesen konnte. Die katarische Regierung hat nach 2017 Reformen angestoßen, die transformatives Potenzial hätten. Aber es mangelt an der Umsetzung“, sagt Katja Müller-Fahlbusch, Expertin bei Amnesty.
Der aktuelle Bericht käme zu dem Schluss, dass die Regierung das vergangene Jahr verschlafen habe, die Reformen umzusetzen und Arbeitgeber*innen zum „Business as usual“ zurückgekehrt seien. „Elf Jahre nach der Vergabe der WM stellen wir die Frage nach dem politischen Willen der Regierung, ernsthaft Reformen umzusetzen.“
Beginn einer neuen Ära?
Katar selbst hat in den vergangenen Jahren auf die anhaltende Kritik an der Situation der Arbeitsmigrant*innen reagiert und zahlreiche Reformen angestoßen. So erließ die Regierung 2017 ein Gesetz, das die Arbeitszeit regelt und führte den Mindestlohn ein, der umgerechnet bei rund 232 Euro plus Verpflegung liegt. Darüber hinaus schaffte sie die sogenannte Unbedenklichkeitsbescheinigung („No Objection Certificate“) ab, damit Arbeiter*innen ohne Erlaubnis ihrer Arbeitgeber*innen das Land verlassen oder den Job wechseln dürfen.
Auf internationaler Ebene gab es viel Zuspruch für diese Reformen. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) sprach davon, dass das Kafala-System abgeschafft worden sei und läutete „den Beginn einer neuen Ära“ ein.
Das Kafala-System regelt die Arbeitsmigration in vielen arabischen Ländern und ist dafür verantwortlich, dass Arbeitsmigrant*innen nach Katar gehen und dort ausgebeutet werden können. Innerhalb dieses „Bürgschaftssystems“ werden Arbeitskräfte durch private Agenturen angeworben und an Arbeitgeber*innen in Katar vermittelt, die für ihre Einreise „bürgen“.
Die Arbeiter*innen sind dazu gezwungen, bei ihrer Einreise ihre Ausweisdokumente an ihren „Bürgen“ auszuhändigen und dürfen ohne deren Einverständnis weder das Land verlassen noch den Arbeitgeber wechseln. Der Aufenthaltsstatus und die Arbeitserlaubnis hängen folglich vom Wohlwollen einzelner Personen ab.
Drakonische Maßnahmen gegen Arbeiter*innen
Der Amnesty-Bericht legt offen, dass das Kafala-System nicht abgeschafft wurde. „Alle bisherigen Fortschritte werden zunichte gemacht, wenn sich Katar damit zufriedengibt, dass viele Maßnahmen quasi nur auf dem Papier existieren und in der Praxis nicht umgesetzt werden“, sagt Müller-Fahlbusch.
So wurde die Unbedenklichkeitsbescheinigung nicht vollständig abgeschafft, sondern stattdessen durch ein intransparentes Verfahren ersetzt und es habe sich eine „perfide Praxis entwickelt, mit Unbedenklichkeitsbescheinigungen zu handeln.“ Arbeitgeber*innen würden zum Teil horrende Gebühren von 1000 bis 4000 US-Dollarn verlangen, damit sie einem Jobwechsel zustimmten.
Einige würden außerdem zu Bestrafungsmaßnahmen greifen und die Arbeitnehmer*innen anzeigen oder deren Aufenthaltsgenehmigung beenden, sodass sie drohen, in die Illegalität abzurutschen, wenn sie den Arbeitsplatz wechseln wollen. „Diese drakonischen Maßnahmen wirken abschreckend, sodass viele sich gar nicht trauen, den Prozess zu beginnen.“
Die Löhne werden auch nach Einführung des Mindestlohns zum Teil gar nicht oder zu spät ausgezahlt. Auch die Ausreise gestaltet sich ohne Zustimmung des Arbeitgebers schwierig: „Arbeitgeber können verlangen, dass fünf Prozent ihrer Arbeitnehmer nicht frei ausreisen dürfen und weiterhin eine Genehmigung brauchen.“ Bis August 2020 hat Amnesty über 42.000 Fälle dokumentiert, wo das der Fall war.
Bayern-Fans und Spieler üben Kritik
Dass die Situation stagniert, liegt Müller-Fahlbusch zufolge auch daran, dass es aus Katar erhebliche Proteste gegen die Reformen gibt, vor allem von Seiten der Wirtschaft. Ella Knight, die als Researcherin bei Amnesty arbeitet, bestätigt das, aber hebt hervor, dass es auch Unterstützung gibt. „In Katar gibt es keine klassische Zivilgesellschaft, lokale Migrant*innenorganisationen dürfen offiziell nicht im Land tätig sein.“ Diese würden eher von außen agieren, aber es gäbe innerhalb des Landes einige informelle Gemeinschaften und Netzwerke bestimmter Nationalitäten, die die Rechte unterstützen.
Widerstand regt sich zunehmend auch in Deutschland. Bei einem Bundesliga-Spiel haben Bayern-Fans mit einem Transparent gegen die Partnerschaft mit Katar protestiert. Nach „Bild“-Informationen würden auch Spieler es begrüßen, wenn der Vertrag mit Qatar Airways nach 2023 nicht verlängert wird.
Kapitän Manuel Neuer soll sogar schon vor einem halben Jahr bei der Vereinsführung vorgesprochen und Hintergründe zur Situation der Arbeiter*innen und der Menschenrechte verlangt haben. Die Widerstände dürften mit der Veröffentlichung der Ergebnisse von Amnesty weiter zunehmen.