Der Deutschland-Achter und das brutale Ende des Zyklus
Als er aus dem Augenwinkel nur die Hälfte des schwarzen Ruderboots mit den weißgekleideten Männern sah, wusste Olaf Roggensack, dass es nicht reichen würde. „Ich dachte erst, dass wir sogar nur Dritter sind. So richtig kriegt man das während des Rennens ja nicht mit“, sagte der Berliner, der einer von neun Ruderern im Deutschland-Achter ist, nach dem Olympischen Finale. Doch es reichte für den Gold-Favoriten noch knapp zur Silbermedaille.
„Wir haben uns vorher gesagt, dass wir nicht rausgucken und uns nur auf uns konzentrieren“, so Roggensack. Das hätte sicher auch geklappt, wenn der Vorsprung der Neuseeländer nicht so groß gewesen wäre.
Rein vom Ergebnis ist Platz zwei für den Deutschen Ruderverband erneut eine Enttäuschung. Immerhin hatte der Deutschland-Achter bis zu diesem Jahr nach Olympia 2016 alle wichtigen Meisterschaften für sich entschieden. Damals lag Dauerrivale Großbritannien vorn, den die Deutschen diesmal hauchdünn hinter sich lassen konnten.
Während sich die Neuseeländer, so gut es in dem langen Boot geht, um die Arme fielen, sah man bei den Deutschen auf der Bahn davor also leere Blicke. Ein Bild, das täuschte, wie Roggensack berichtete. „Ich habe schon zugetragen bekommen, dass es bei uns nicht nach Freude aussah nach dem Rennen“, sagt der 24-Jährige. „Uns war bewusst, dass es auch nicht für Gold reichen kann. Wir sind trotzdem froh, weil es so eng war. Wir sind ein brutales Rennen gefahren.“
Dieses brutale Rennen hätte womöglich auch zu Gold gereicht, wenn sich das deutsche Boot nicht nach dem guten Start und vor dem Schlussspurt eine kleine Schwächephase geleistet hätte.
„Wir sind mit breiter Brust an den Start gegangen. Wir wussten, wozu wir in der Lage sind, das hat uns Vertrauen in uns selbst gegeben“, sagt Roggensack, der auf Position drei im Boot sitzt. Schließlich konnten sich die Deutschen schon seit zwei Jahren auf Olympia vorbereiten. Als Weltmeister waren sie frühstmöglich qualifiziert.
Die Neuseeländer hatten sich hingegen erst vor wenigen Monaten in der Nach-Qualifikation ihren Platz in Tokio gesichert. Allerdings wird allein dieser Fakt dem Kräfteverhältnis nicht gerecht. Denn die Neuseeländer packten alles, was im Rudersport noch fährt und Rang und Namen hat, in den Achter.
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Der bis Tokio zweifache Olympiasieger und achtfache Weltmeister Hamish Bond, einer der besten Ruderer der Gegenwart, bekam noch die amtierenden Vize-Weltmeister im Zweier an die Seite gestellt. Um in Tokio um die Medaillen mitfahren zu können, verzichteten die Neuseeländer auf einen konkurrenzfähigen Zweier, der große Chancen auf eine Medaille gehabt hätte. Der Plan sollte aufgehen.
Es lief früh auf einen Dreikampf zwischen den Deutschen, Dauerrivale Großbritannien und Neuseeland heraus. „Wir haben uns vorgenommen, das Rennen von vorne zu fahren und schon zu Beginn alles reinzulegen. Denn jeder Vorsprung ist schon mal was“, sagte Roggensack nach dem Rennen. Allerdings hielt der Vorsprung nicht lange.
Bei 1000 Metern, zur Halbzeit des Rennens, lagen die Neuseeländer erstmals vorne und waren mit der höchsten Geschwindigkeit unterwegs, die Deutschen fielen sogar auf Rang drei zurück. Der Vorsprung wurde immer größer, schon bei 1500 Metern war das Rennen praktisch für Neuseeland, das überraschend früh mit einer halben Bootslänge Vorsprung führte, entschieden. Deutschland musste nun kämpfen, die Briten auf Platz zwei nicht aus den Augen zu verlieren.
Eben diese Briten hatten die Deutschen im April als Europameister entthront und anschließend auch beim Weltcup in Luzern geschlagen. Zwar ließen die Deutschen die europäische Konkurrenz in Tokio wieder hinter sich. Doch war schon vor dem Rennen klar, dass die Favoritenstellung des Deutschland-Achters erstmals seit Jahren bröckelte.
„Wir hatten nicht die perfekte Saison“, gibt Roggensack unumwunden zu. „Man konnte nicht wirklich einschätzen, wie die anderen Nationen drauf sind, gerade aus Übersee.“ Aufgrund der Corona-Pandemie gab es sowohl in diesem als auch im letzten Jahr keine Weltmeisterschaft, auf der sich die geballte Ruderelite messen hätte können. Ein Vorteil für die nicht-europäischen Geheimfavoriten wie Neuseeland.
„Ich war nach dem Rennen schon sehr erleichtert, es geschafft zu haben. Immerhin haben wir uns fünf Jahre auf den Wettkampf vorbereitet“, sagte Roggensack. Mit den fünf Jahren bezieht er sich auf den nun endenden Olympiazyklus von den Spielen in Rio 2016 bis jetzt in Tokio.
Der deutsche Achter fährt in seiner jetzigen Besetzung allerdings erst seit 2020 zusammen. Die einzige Position, die seit der letzten WM 2019 ausgetauscht wurde, war die von Olaf Roggensack. Er ist also als einziger der Achtercrew noch kein Meisterschaftsrennen gegen die Konkurrenz aus Übersee und Amerika gefahren.
Roggensack sieht fehlende Erfahrung als nicht entscheidend
Roggensack verstärkte ein funktionierendes Team punktuell. Für ihn gibt es vor allem drei Gründe, die zur Willensleistung und damit doch noch zur Silbermedaille geführt haben. „Der Zusammenhalt in der Mannschaft ist sehr groß, wir haben Vertrauen ineinander. Und wir haben mit Martin Sauer natürlich einen super Steuermann, der sehr viel Erfahrung hat“, sagte der Berliner nach dem Rennen.
Mit Steuermann Sauer und Richard Schmidt waren zwei Männer im Boot, die 2012 beim Olympiasieg schon dabei waren. Sie beenden ihre Achter-Karriere nun. Für fünf der anderen sieben Ruderer war es die erste Olympia-Medaille. So natürlich auch für Roggensack bei seiner ersten Teilnahme. Ob die fehlende Olympia-Erfahrung eine Rolle gespielt hat? „Nein, das sehe ich nicht so“, macht Roggensack klar.
„Ich müsste lügen, wenn ich sage, dass ich vor dem Rennen nicht aufgeregt war. Ich war auch noch angespannt am Start“, das habe sich dann aber gelegt. Während des Rennens hätten ihm dann die Automatismen geholfen, die man im Training lernt, sagt Roggensack. Aber: „Du kannst während des Rennens nicht an nichts denken. Dir geht immer auch durch den Kopf, was die anderen jetzt machen.“
Das galt natürlich auch, oder gerade, für das Olympia-Finale. Als Roggensack die enteilten Neuseeländer im Augenwinkel sah, fuhr er mit dem deutschen Achter die stärksten letzten 500 Meter. Zu Gold reichte es erwartungsgemäß nicht mehr. Doch immerhin fingen die deutschen Ruderer die Briten noch ab.