Im Sommer von Text und Kritik
Das Wetter spielt schon mal mit dieses Jahr beim Ingeborg-Bachmann-Preislesen in Klagenfurt. Hoch Xenia zieht von Westen her über Österreich, und die Temperaturen erreichen die nächsten Tage konstant die 30-Grad-Marke.
Dazu kommen sinkende Corona-Inzidenzzahlen, offene Freibäder am Wörthersee, offene Biergärten und Maria-Loretto-Restaurants, die Übertragungen der Lesungen am Lendhafen, ja, und dann ist noch EM.
Alles angerichtet also. Trotzdem wird auch in diesem zweiten Corona-Jahr der Bachmann-Wettbewerb überwiegend digital über die Bühne gehen. (Do – Sa, 10 – 15 Uhr, auf 3 Sat und im Stream, So 11 Uhr Preisverleihung.)
Anders als 2020, als nur Moderator Christian Ankowitsch im ORF-Studio zugegen war, ist immerhin die siebenköpfige Jury wieder vor Ort, um live über die vorgetragenen Texte zu diskutieren.
Doch der Moderator und die Mitglieder der Jury sind die einzigen, die das Studio und den Garten des ORF-Geländes betreten dürfen. Das Publikum muss wie vergangenes Jahr draußen bleiben und das Geschehen am Fernsehen verfolgen, und auch die Autorinnen und Autoren werden mit ihren Lesungen von ihren jeweiligen Heimatorten zugeschaltet.
Helga Schubert gewann 2020
Hybridität ist also wieder Trumpf in Klagenfurt. Das war es allerdings schon immer, nicht so rabiat wie vergangenes und dieses Jahr, aber durch die Fernsehübertragung und Leinwände im Garten und Café des ORF-Studios war der Wettbewerb nie ein rein analoger.
Seit 1977, als ihn unter anderem Marcel Reich Ranicki als Juror mitbegründete, gibt es den Wettbewerb schon, und obwohl es immer mal wieder Rufe gab, ihn abzuschaffen, oder der ORF überlegte, auszusteigen, scheint er unverwüstlich zu sein.
Helga Schubert dürfte den „Tagen der deutschsprachigen Literatur“, wie der Wettbewerb auch genannt wird, 2020 mit ihrem Triumph einen weiteren Schub gegeben haben – ihr in diesem Frühjahr erschienenes Buch „Vom Aufstehen“ ist zu einem Bestseller geworden, was eine schöne Rückkopplung für den Bachmannpreis bedeutet, vielleicht auch für den Gewinner oder die Gewinnerin dieses Jahres.
Insa Wilke ist die neue Jury-Vorsitzende
Besonders prominent ist aus diesem 45. Jahrgang niemand, nicht Katharina Ferner oder Verena Gotthardt, nicht Timon Karl Kaleyta oder Lukas Maisel, um nur ein paar Namen zu nennen.
Zwei neue Jurorinnen sind 2021 dabei: Mara Delius von der „Welt“ und die österreichische Schriftstellerin Vea Kaiser ersetzen Nora Gomringer und Hubert Winkels, der elf Jahre in der Jury und fünf Jahre ihr Vorsitzender war und heute abend den Wettbewerb mit der “Klagenfurter Rede zur Literaturkritik” eröffnet. (18 Uhr, im Stream auf „Bachmannpreis.orf.at). Ihm folgt nun Insa Wilke nach.
In einem Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“ hat Winkels gerade gesagt, dass es Aufgabe der Zeitungen und des Radios sei, „einen Raum des freien Umgangs mit Literatur so zu positionieren, dass auch das Interesse der nicht literaturnahen Menschen geweckt wird.“
Für das Fernsehen gilt das natürlich genauso, und vielleicht kommt hier bald jemand auf den Gedanken, dass Reitausflüge, Bergwanderungen, Klettertouren und Segeltörns mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern oder Literaturtalks mit Promis doch nicht der Weisheit letzter Schluss der Literaturvermittlung sind. Sondern, wie halt bei den Bachmannpreistagen: nichts anderes als Text und Kritik.