Polit-Thriller „The Secret Agent“ im Kino: Die blutigen Spuren der brasilianischen Geschichte

Armandos Rückkehr an seinen Geburtsort Recife fällt nicht besonders herzlich aus. Als er mit seinem knallgelben VW Käfer an einer Tankstelle anhält, liegt auf dem Asphalt eine Leiche, nur notdürftig verhüllt mit einem Stück Karton. Er solle sich keine Sorgen machen, meint der Tankwärter achselzuckend, der Tote läge da schon seit ein paar Tagen, die Polizei sei gerade zu beschäftigt. Es ist Karneval, und das Regime nutzt den Trubel der Feierlichkeiten, um politische Gegner zu beseitigen.

Auch die Polizisten, die kurz darauf halten, interessieren sich mehr für Armando als für die Leiche. Sie prüfen halbherzig seine Papiere, schnorren eine Packung Zigaretten und machen einen Spruch über seine langen Haare. Schließlich fahren sie wieder, tatenlos.

„The Secret Agent“ von Kleber Mendonça Filho beginnt wie ein früher Film der Coen-Brüder. Die Gewalteskalation unter dem brasilianischen Militärregime wird mit fast komischer Stoik kaum zur Kenntnis genommen, business as usual. Aber der Tote außerhalb des Bildes verleiht dem lakonischen Dialog zwischen den Polizisten und dem Neuankömmling einen bedrohlichen Unterton.

Eine paranoide Grundstimmung schwingt in den panoramischen Panavision-Bildern von Kamerafrau Evgenia Alexandrova mit. Konterkariert wird das latente Unbehagen durch die saturierten Farben, die eher an den gegenkulturellen Idealismus der Tropicalismo-Bewegung der späten 1960er Jahre denken lassen. So wie mit den Stimmungen spielt Mendonça auch mit den Genres: Die Verunsicherung ist auf allen Ebenen von „The Secret Agent“ intendiert.

Die politische Situation in Brasilien wirkt fragil und gefährlich, und genauso klandestin entspinnt sich auch die Ankunft des Mannes, der sich jetzt Marcelo nennt, aber in einem früheren Leben Armando hieß. Im Haus der resolut-herzlichen Dona Sebastiana (Tânia Maria) benutzt aus Sicherheitsgründen niemand seinen oder ihren richtigen Namen: Claudia (Hermila Guedes), Haroldo (João Vitor Silva) und die Angolanerin Thereza Vitória (Isabél Zuaa) sind politische Exilanten auf der Flucht.

In der Herberge von Dona Sebastiana hat sich eine Schicksalsgemeinschaft eingefunden, die in „The Secret Agent“ die Rolle einer Ersatzfamilie übernimmt. Vage bleibt lange, welche Umstände Armando in diese Gesellschaft verschlagen haben. Seinen achtjährigen Sohn Fernando, der nach dem ungeklärten Tod von Armandos Frau Fátima (Alice Carvalho) beim Schwiegervater Señor Alexandre (Carlos Francisco) lebt, kann er nur heimlich besuchen.

Viel Geduld für die politischen und sozialen Verflechtungen

Die Menschen, die Armando beschützen, haben ihm eine Stelle im Einwohnermeldeamt von Recife besorgt, wo er die verschwundene Geburtsurkunde seiner Mutter sucht. Die Behörde fungiert als inoffizieller Außenposten des jovialen Polizeichefs Euclides (Robério Diógenes), der ebenfalls ein persönliches Interesse an Armando hat.

Armando (Wagner Moura) muss auf der Hut sein vor Killern, die ihm nach dem Leben trachten.

© Port au Prince Pictures

Flavia versucht mithilfe der Audio-Kassetten und ein paar Zeitungsausschnitten herauszufinden, was Ende der 1970er Jahre mit Armando geschah. Aber ihre Recherche stellt sich als nahezu unmögliches Unterfangen heraus. Auch der inzwischen erwachsene Fernando (ebenfalls gespielt von Wagner Moura) hat keine Erinnerungen an seinen Vater.

In der Figur Armando laufen viele Fäden der brasilianischen Geschichte zusammen, die sich irgendwann aber wieder verlieren. Auch darum legt Mendonça wenig Wert darauf, die turbulenten politischen 1970er Jahre als stringenten Thriller zu erzählen. Er folgt lediglich Spuren.

Sein Landsmann Walter Salles hat im vergangenen Jahr mit dem Familiendrama „Für immer hier“ einen anderen, konventionelleren – wenn auch nicht weniger überzeugenden – Ansatz gewählt, um die Folgen der Militärdiktatur auf das gesellschaftliche Leben im Brasilien der 1970er Jahre zu erzählen. Salles hat einen hochemotionalen Zugang zur brasilianischen Geschichte, vermengt mit autobiografischen Erinnerungen.