Die 13. Berlin Biennale steht auf gegen das Unrecht der Welt: Humor kann eine Waffe sein
Wenn an diesem Freitag die Berlin Biennale eröffnet, wird der chinesische Künstler Han Bing auf dem Gehweg vor den Kunstwerken einen Kohlkopf Gassi führen. Klingt absurd? Ist es auch, aber was ist verkehrter: ein Kohl an der Leine oder ein Staat, der seine Bürger ermordet?
Das Ritual des Spaziergangs mit einem Gemüse hat Han Bing erstmals im Jahr 2000 auf dem Tiananmen-Platz in Peking initiiert, wo zehn Jahre zuvor friedliche Studentenproteste blutig niedergeschlagen wurden. Es ist ein Beispiel für Kunst, die angesichts staatlicher Gewalt und Willkür entsteht. Darum geht es bei der diesjährigen Berlin Biennale, die Beispiele aus 40 Ländern versammelt.
Foxing bei der Berlin Biennale
Die indische Kuratorin Zasha Colah, die in Mumbai sowohl in der freien Szene als auch in nationalen Museen gearbeitet hat, hat gemeinsam mit Assistenzkuratorin Valentina Viviani rund 60 Künstlerinnen und Künstler eingeladen. Zu erleben sind etwa eine Slapstick-Komödie aus Myanmar, Poetry Slam aus Indien, eine Unterhosenpartei von Frauen und absurdes Theater aus Polen. Humor, der aufblitzt wie ein Funke, Pointen zum Weitererzählen. „das flüchtige weitergeben“ lautet das Motto, das Colah für die seit 1998 alle zwei Jahre stattfindende Berliner Großausstellung gewählt hat.

© dpa/Jens Kalaene
Colah, die derzeit in Bozen den Kunstverein leitet und auch eine Weile zwischen Mumbai und Berlin pendelte, spricht von krassen Situationen, in denen Kunst die letzte Möglichkeit ist, wieder die Kontrolle zu erlangen. Wenn der Körper schmerzt, das Denken aussetzt, es nichts mehr zu hoffen gibt, im Gefängnis, im Krieg kann ausgerechnet die Kunst, die im Westen oftmals als schöngeistig, weich und wirkungslos gilt, ein Ausweg sein. Colah bezeichnet die zugehörigen Strategien als „foxing“, tricksen, clever sein, wie ein Fuchs, im Angesicht legislativer Gewalt seine eigenen Gesetze definieren.
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Berliner Geschichte in den Sophiensälen
Neben den Kunstwerken als Gründungsort und Heimstatt der Biennale, bespielt die 13. Ausgabe drei weitere Orte und einige Schwesterorganisationen aus der freien Szene. Einer der Hauptorte sind die Sophiensäle, dort hielt die Kuratorin ihre Auftaktpressekonferenz ab. Die Sophiensäle erzählen mit jeder Pore der jahrzehntelang unrenovierten Wände Berliner Revolutions-, Diktatur- und Freiheitsgeschichte.

© dpa/Jens Kalaene
Als Vereinshaus des Berliner Handwerkervereins erbaut, hielten hier während der Weimarer Zeit Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ihre Reden. Unter den Nazis mussten Zwangsarbeiter aus Russland und der Ukraine im großen Saal NS-Propagandamaterial drucken. Ab 1950 zogen die Werkstätten des Maxim Gorki-Theaters ein, nach der Wende die freie Tanz- und Theaterszene. Der ideale Ort, um Berlin mit der internationalen Künstlerschaft zu verbinden, die zur Pressekonferenz teils anwesend ist.
Einer der nicht kommen konnte, weil man ihn nicht ausreisen ließ, ist der burmesischen Maler, Aktivist und Performancekünstler Htein Lin. Bei der Pressekonferenz erläutert Zasha Colah anhand einer Erzählung Htein Lins um welche Art von Humor es beim „foxing“ geht. In dem Moment als Lin in Myanmar vor Gericht den Schergen der Militärjunta gegenübersitzt und ihm und weiteren unschuldig Verhafteten absurd lange Haftstrafen verlesen werden, brechen die Verurteilten in Lachen aus. „10 Jahre, 15 Jahre, herzlichen Glückwunsch“, rufen sie sich zu, gratulieren sich gegenseitig. Die Wärter sind foxed. Die Ordnung ist aus den Angeln gehoben.
Im Gegensatz zu vorhergehenden Berlin Biennalen geht es den Kuratorinnen nicht per se um aktivistische Kunst. Niemand soll sich auf die ein oder andere Seite schlagen müssen. Wie es denn wäre mit der Zensur in Deutschland, mit den Künstlern von „Strike-Germany“, die wegen der Israelpolitik deutsche Institutionen boykottieren, wird Zasha Colah gefragt.

© Jane Jin Kaisen; VG Bild Kunst 2025
Nur eine Person habe wegen „Strike Germany“ abgesagt, sie akzeptiere diese Form der Meinungsäußerung, habe für sich aber beschlossen andere Mittel zu wählen. Perfekte Demokratien kenne sie nicht. Ihr Biennalekonzept beziehe sich nicht nur auf die Situation in Deutschland, sondern auch auf den Rückschritt zur Diktatur in ihrem Heimatland Indien, den Militärputsch in Myanmar 2021, die Situation im Sudan.
Der Ausstellungsteil in den Sophiensälen ist klein, aber gelungen. Die ehemalige Kantine im Erdgeschoss ist in einen sehr dunklen und einen sehr hellen Raum unterteilt und mit Kunstwerken bestückt, die erahnen lassen, dass über die verschiedenen Orte hinweg feine Spuren ausgelegt sind, Zahlencodes, Charaktere wie der indische Politiker und Reformer B. R. Ambedkar, der gegen das Kastensystem kämpfte, und die an verschiedenen Stellen wieder auftauchen.
Nicht immer fällt der Groschen sofort, die feinen kleinen Einsprengsel, die der indische Künstler Amol K Patil zeigt, geben durchaus Rätsel auf. Schön ist die Klanginstallation von Luzie Meyer, die aktuelle Kulturdebatten in Stepptanz-Rhythmen übersetzt.
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