Debütroman von Laura Naumann: Wilde Wellen, Hamsterdialoge und ein Liebesdreieck

Zwei Wochen Surfurlaub in Portugal. Das war Johannas Idee, um mal runterzukommen. Ihre Agentin hätte sie lieber in einer Privatklinik in den Alpen gesehen, doch das erschien der Berliner Synchronsprecherin unverhältnismäßig, ja fast schon unanständig.

„Außerdem zweifelte ich an ihrer Diagnose. Burnout klang zu dramatisch. Vielleicht war ich einfach nur komisch drauf. Ich hatte ein blödes Jahr, so was konnte man ja mal haben“, rechtfertigt die Ich-Erzählerin von Laura Naumanns Debütroman „Haus aus Wind“ ihre Entscheidung für die Auszeit in einem kleinen Ort an der Algarveküste.

Dort nimmt sie täglich an den Kursen der einstigen Profi-Wellenreiterin Luz teil, zu der schnell auch eine flirtige Verbindung entsteht. Außerdem ist da noch die Australierin Robyn mit der langen Narbe auf dem Rücken, die gut zwei Jahrzehnte älter ist als die 29-jährige Protagonistin und offenbar auch an ihr interessiert.

Doch ein lockerer Sommerroman mit entspannter Strandromantik wird das hier nicht. Das wird spätestens dann klar, als Johanna ihren Rückflug verpasst, weil sie im Flughafenterminal eine Panikattacke hat und zusammenbricht. Immer wieder bringt ihr Körper zum Ausdruck, was sie wirklich fühlt.

Meistens beginnt ihr Herz unkontrolliert zu rasen, die Luft bleibt ihr weg. Es kann aber auch vorkommen, dass sie einer übergriffigen Frau im Synchronstudio auf die Bluse kotzt oder vor einer unangenehmen Gesprächssituation flieht, um zwischen die Klippen zu kacken.

Johanna ist offensichtlich in einer tiefen Lebenskrise – Burnout ist als Diagnose eher noch zu undramatisch. Wie es so weit kommen konnte, erzählt die 1989 in Leipzig geborene Naumann in geschickt montierten Rückblenden. Diese führen sowohl in Johannas Kindheit als auch in die jüngere Vergangenheit, in der sie und ihre Langzeitpartnerin Rosa sich getrennt haben.

Wie schlecht Johanna das verkraftet, zeigt sich auch im gelegentlich mit viel Weißraum arbeitenden Satzspiegel. So steht auf der Seite 90 nur ein Satz: „Manchmal vermisse ich Rosa mehr, als mein Körper aushalten kann.“

Aufgewachsen in einer ostdeutschen Kleinfamilie

Nach und nach entsteht überdies ein Bild von Johannas ostdeutscher Kleinfamilie, in der die Eltern nach der Wende eine erfolgreiche Baufirma aufbauen, aber kaum Zeit für die Tochter haben. Als diese mit elf Jahren ihre Karriere als Synchronsprecherin startet, raten sie ihr, tiefzustapeln und bloß keinen Neid auf sich ziehen.

Johanna hält sich daran, erzählt in der Schule nichts von ihrem Job, in dem sie meist kleine Jungs oder freche Tiere spricht. Von da an arbeitet sie nahezu ohne Unterbrechung bis zu ihrem Surfurlaub durch, den sie nach der Episode am Flughafen fortsetzt.

Sie wird besser auf dem Surfbrett und beginnt eine Affäre mit Luz und Robyn. „In den folgenden Wochen bin ich vielleicht glücklich. Es ist ganz einfach. Alles riecht. Alles schmeckt. Alles fühlt sich an.“ Ihr Herz und der Atem beruhigen sich.

Naumann studierte Kreatives Schreiben

Es ist absehbar, dass das kein Zustand von Dauer sein kann. Dafür schleppt Johanna einfach zu viel mit sich herum. Auch die Anrufe und besorgten Nachrichten aus Deutschland lassen sich nicht ewig ignorieren.

Laura Naumann, die Kreatives Schreiben in Hildesheim studiert hat und die Performancekollektive machina eX und Henrike Iglesias mitgegründet hat, erzählt das mit einem eleganten Flow, in den sie mitunter englische Dialoge und kleine Surftechnik-Exkurse mischt.

Ebenso beiläufig wirkt die Queerness des Haupt-Casts, die einfach gesetzt wird und keiner weiteren Erklärung bedarf. Was nicht heißt, dass die Handlung in einem LGBTIQ-Utopia ohne Diskriminierung spielt – so ist das frühe Karriereende von Luz auf Homofeindlichkeit zurückzuführen.

Ein Roman geprägt von Lakonie und Humor

Wahlberlinerin Johanna scheint davon weitgehend verschont geblieben zu sein. Naumann näher sich ihr mit einer sanften erzählerischen Eindringlichkeit, die eine ungemeine Nähe zu ihrer Hauptfigur erzeugt. Geradewegs in Johannas Kopf führen deren als „Stream of Consciouness“ protokollierte Selbstbeschimpfungen. Auf eruptive Weise veranschaulichen diese Passagen ihre Zerquältheit, ihre Haltlosigkeit.

Allerdings wird Naumanns Roman nicht von einem verzweifelten Ton dominiert. Vielmehr entfaltet er seine Intensität aus einer feinen Lakonie heraus, in die auch immer wieder Humor einfließt. Den bringt etwa der Plüschhamster Gerd ein, der Johanna seit der Kindheit begleitet. In Portugal ist er ebenfalls dabei und verwickelt sie in kritische Dialoge.

Einmal setzt er sich dabei auf ihr Mobiltelefon, um sie dazu zu zwingen, sich endlich bei ihrer Agentin zu melden. Bevor Johanna ihn in den Koffer sperrt, bringt er ihre Lage noch mit dem Satz „Du löst hier gar nichts, du vermeidest“ auf den Punkt.

Damit zeigt Gerd als Stimme in Johannas Kopf, dass sie sich sehr wohl bewusst ist über ihren Schlingerkurs. Doch ihr Weg aus der Krise ist eben kein gerader, er führt durch wilde Wellen, verschiedene Betten, Lähmung – und zu unverhofften Begegnungen mit Fremden. Und genau das macht Laura Naumanns Debüt zu einem so kurzweiligen wie ungewöhnlichen Entwicklungsroman.