61 Jahre Theatertreffen: Ist das Festival noch zeitgemäß?

Jedes Jahr im Frühling versammeln sich Theatermacher und -liebhaber im Haus der Berliner Festspiele, um die zehn bemerkenswertesten Inszenierungen der Saison zu sehen, die eine Jury aus hunderten Einreichungen ausgewählt hat. Das erste Theatertreffen fand 1963 statt. Ist das Konzept in seiner aktuellen Form zeitgemäß?

In unserer Kolumne „3 auf 1“ beantworten Fachleute aktuelle Fragen – alle Folgen von „3 auf 1“ finden Sie hier.


Das Theatertreffen hinterfragt das Theater an sich

Das Theatertreffen erzeugt jedes Jahr weit über Berlin hinaus eine so geballte mediale und gesellschaftliche Aufmerksamkeit für das Theater (oft in Form kontroverser Debatten über seine Ästhetiken, Inhalte und Produktionsformen), wie es nur wenige Kulturereignisse in Deutschland vermögen. Das allein macht es nicht nur für das Theater selbst wichtig und zumindest aus Sicht vieler Theaterinteressierter auch unverzichtbar.

Zeitgemäß ist es darin, dass es die Kriterien für seine Auswahl – zehn bemerkenswerte Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum – flexibel hält und es sieben wechselnden Theaterkritiker*innen überlässt, jeweils erneut auszuhandeln, was denn „bemerkenswert“ im laufenden Jahr überhaupt zu bedeuten hat. Ob es eher kunstimmanente, formale oder theaterpraktische Gesichtspunkte sind, die den Ausschlag geben, oder die Reflexion von gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen. Oder ob Theater aktuell gerade da bemerkenswert ist, wo beide Aspekte – oder weitere, ganz andere – zusammenwirken. Eine sehr präsente Frage des Theatertreffens ist also: „Ist das Theater zeitgemäß?“ Und damit ist zumindest das Theatertreffen unbedingt zeitgemäß.


Das Festival ist internationaler geworden

Seit der Gründung in den Sechzigerjahren gab es immer wieder Vorschläge und Versuche, den Modus des Theatertreffens zu ändern oder es als sogar als Ganzes abzuschaffen. Nun hat es sich über Generationen erhalten und bewährt, und selbst die Pandemie, als niemand reisen konnte, hat es überstanden: Wie wurde das Live-Erlebnis da vermisst!

Es wäre auch zu seltsam, wenn eine der reichsten Theaternationen der Welt nicht ein eigenes Festival hätte. Zumal das Theatertreffen, mit der Schweiz und Österreich, den gesamten deutschsprachigen Raum umfasst. Längst sind auch andere Sprachen und Sphären hinzugekommen, das Theatertreffen ist internationaler geworden. Vielleicht kann es demnächst noch einen Schritt weitergehen und Europa in den Blick nehmen, in der einen oder anderen Form. Mit dem Haus der Berliner Festspiele hat das Theatertreffen einen fabelhaften Spielort – auch über den schönen Monat Mai hinaus.


Einander Geschichten zu erzählen wird immer zeitgemäß sein

Wenn ich am Stuttgarter Platz sitze und die Kinder auf dem Spielplatz beobachte, die im Sand spielen, dann sehe ich, wie sie sich vorstellen, Mama und Papa zu sein, ein Feuerwehrmann oder ein feuerspeiender Drache. Zwischendurch haut der eine dem anderen mit der Plastikschaufel auf den Kopf, jemand weint, jemand tröstet. Wenn ich dann ein Stückchen weitergehe, sehe ich vor dem Altersheim alte Frauen und Männer sitzen, gierig an ihrer Zigarette ziehen und einander erzählen, wie es war, Mama und Papa gewesen zu sein, Feuerwehrmann oder Steuerberater.

Dazwischen aber, glaube ich, wird es nicht aufhören zeitgemäß zu sein, zusammenzusitzen und einander Geschichten zu erzählen, einander weinen zu sehen, einander zum Lachen zu bringen und einander zu trösten. In meinen Augen hört auch das Theatertreffen also nicht auf, zeitgemäß zu sein.