Biopic über Milli Vanilli: Wie zwei Tänzer zu Popstars wurden
Zwei junge Männer genießen Drinks im Pool ihrer Villa. Die Sonne scheint, die beiden blicken auf die Hügel von Los Angeles. „Ist das real?“, fragt Robert Pilatus (Tijan Njie) den neben ihm am Beckenrand hängenden Fabrice Morvan (Elan Ben Ali), der ihm die offenbar gewünschte schwärmerische Antwort verweigert. „Nein, es ist eine schöne Illusion“, sagt er.
Denn schließlich beruht alles um sie herum auf einem Erfolg, den sie durch eine Täuschung erreicht haben. Bei den Hits ihres weltweit gefeierten Pop-Duos Milli Vanilli haben sie keine einzige Note gesungen, sondern bewegen in den Videos und auf der Bühne dazu die Lippen und tanzen.
Robert, genannt Rob, findet, dass er und Fabrice, genannt Fab, den Leuten genau das geben, was diese wollen. Deshalb verdienten er und sein Freund all den Luxus und den Jubel. Dass er damit zumindest teilweise recht hat, das ganze aber trotzdem eine schöne Illusion bleibt, erzählt nun Simon Verhoevens Film „Girl You Know It’s True“, der auf der Karriere von Milli Vanilli basiert – wobei die obligatorische „Basiert auf einer wahren Geschichte“-Einblendung zu Beginn sofort eingeschränkt wird durch eine Zeile, die von vielen Wahrheiten und Geschichten spricht.
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Dieser kleine Disclaimer ist ein kluger Schachzug, denn er gibt erzählerische Freiheit – und führt zugleich das zentrale Thema des schwer zu fassenden Wahrheitsbegriffs im Popgeschäft ein. Dass die Protagonisten immer wieder direkt in die Kamera sprechen, Rob und Fab sogar aus einer fiktionalen Gegenwart auf ihre Zeit als Popstars zurückblicken, funktioniert dabei wie ein klassischer Verfremdungseffekt.
Gleichzeitig bleibt Verhoeven aber so nah an der bekannten Geschichte, dass dem Publikum dennoch das Gefühl vermittelt wird: So ist es damals wahrscheinlich gelaufen. Das liegt vor allem an Tijan Njie und Elan Ben Ali, die Pilatus und Morvan sehr ähnlich sehen. Sie tragen Kostüme, die stark an die Milli-Vanilli-Outfits erinnern, sie tanzen ebenso dynamisch und spielen absolut mitreißend.
Der in München geborene Rob und der aus Paris stammende Fab freunden sich Ende der Achtziger in München an. Sie sind Tänzer, die durch ihre Auftritte in der Disko P1 lokale Berühmtheit erlangen, aber unbedingt als Musiker groß rauskommen wollen.
Als der bekannte Produzent Frank Farian (Matthias Schweighöfer) ihnen einen Vertrag anbietet, unterschreiben sie ohne ihn zu lesen. Der Mann hat schließlich Boney M. produziert und der Song, den er mit ihnen machen will, klingt fantastisch. Die beiden denken, dass sie ihn singen werden, doch Farian hat sie lediglich für das Bildmaterial und die Videos vorgesehen. Widerwillig lassen sie sich darauf ein, sie denken, dass es bei einer einmaligen Aktion bleibt. Doch dann wird „Girl, You Know It’s True“ zu einem weltweiten Hit und bringt eine ungeahnte Dynamik in die Angelegenheit.
Für Frank Farian, der sein Studio im hessischen Städtchen Rosbach betreibt, geht endlich der Traum vom Erfolg in den USA in Erfüllung, der mit Boney M. noch gescheitert war. Jetzt nimmt Arista Records, das Label von Stars wie Whitney Houston und Aretha Franklin, Milli Vanilli unter Vertrag.
Farian hat früh die Macht des Musikfernsehens erkannt. Einmal sagt er zu Rob und Fab: „Die Leute hören mit ihren Augen.“ Und die durchtrainierten Tänzer mit den Zöpfchenfrisuren sehen nun mal deutlich besser aus als die US-Sänger, die den Song tatsächlich aufgenommen haben. Dass Rob und Fab, die auf Platte wie Amerikaner klingen, beim Sprechen aber mit bayrischem beziehungsweise französischem Akzent Englisch sprechen, sorgt bei Arista für Erstaunen, führt aber nicht zu Nachfragen, lieber engagiert man eine Sprachtrainerin.
Frank Farian als besessenes Musikgenie
Hauptsache, die Dollars rollen – und das tun sie. In kaum zwei Jahren haben Milli Vanilli drei Nummer-Eins-Hits, sie verkaufen über 30 Millionen Tonträger und gewinnen sogar einen Grammy. Da fragt man lieber nicht so genau nach, auch nicht beim deutschen Label.
Die Einzelheiten dieser unglaublichen Story hat im Juni die sehenswerte Paramount-Dokumentation „Milli Vanilli“ offengelegt. Mit deren Machern wollte Frank Farian nicht sprechen, den Produzenten von „Girl You Know It’s True“, die schon Verhoevens Komödie „Willkommen bei den Hartmanns“ realisierten, erlaubte er die Verwendung der Songs und ließ ihnen freie Hand bei der Ausgestaltung seiner Figur.
Matthias Schweighöfer spielt sie mit zerzauster Blondhaarperücke als besessenes Musikgenie, das selbst in seinen cholerischen Momenten nie bösartig wirkt, sondern wie jemand, der im positiven Sinne verrückt ist und um seine Vision kämpft. Da muss er schon mal ins Büro eines begriffsstutzigen Labelchefs stürmen und ihm ein „Press die Platten!“ entgegen brüllen.
Das ist witzig und verdeckt auch durch Schweighöfers Charme, dass Farian ein skrupelloser Geschäftsmann war, der schamlos Schwarze Sounds kopierte und Schwarze Musiker und Tänzer ausbeutete. Bei Boney M., deren Sänger er selbst war und nicht Bobby Farrell, grenzte das an musikalisches Blackfacing.
Von Rob und Fab ist im Film immer wieder ein lebensgroßer Pappaufsteller zu sehen. Ja, sie waren Farians Pappkameraden. Allerdings solche, die den Jetset-Lebensstil mit Ferrari, Partys und Drogen in L.A. etwas zu sehr genossen und begannen, gegen ihren Erfinder zu rebellieren. Der ließ sie im November 1990 bei einer Pressekonferenz in New York auffliegen, Milli Vanilli waren Geschichte, gingen unter in medialer Häme, während ihr Produzent quasi ungeschoren davon kam. Bei „Girl You Know It’s True“ ist das wieder ähnlich.
Fabrice Morvan hat sich Jahre später von dem Skandal erholt, lebt heute als Musiker in Amsterdam und lobt Verhoevens Film („mit höchstem Respekt und auf einfühlsame Weise erzählt“). Robert Pilatus kann man nicht mehr fragen, er kam nie wirklich über den Milli-Vanilli-Trip hinweg und starb 1998 mit 34 Jahren an einem drogen- und alkoholbedingten Herzstillstand.