Diktatoren, Monster und Philosophen : Kunstfest Weimar eröffnet
Es fällt doch immer wieder auf, wie klein die Stadt ist im Maßstab ihrer Geschichtswelten. Kultur wirkt dabei wie Last und Befreiung zugleich. In Weimar steht das Deutsche Nationaltheater, ein mächtiger Bau vom Beginn des 20. Jahrhunderts, und das ist auch die übertragene, übergroße Rolle, die Weimar historisch spielt – als nationale und internationale Bühne mit einer unwahrscheinlichen Dichte von Gedenkstätten und Museen. Darauf beruft sich das Kunstfest 2023 mit seinem moralisch-imperativen Motto „Erinnern schafft Zukunft“.
Eröffnung auf dem Theaterplatz, bei den mächtigen Goethe-Schiller-Bronzen. Die Sonne brennt heiß. Die Tische in den Cafés und Pizzerien sind voll besetzt. Günther Uecker, der 93-jährige Bildhauer, errichtet zusammen mit Weimarer Bürgerinnen und Bürgern ein „Steinmal für Buchenwald“. Die aufgeschichteten Brocken sollen an die Opfer des nationalsozialistischen Konzentrationslagers bei Weimar erinnern. Über Lautsprecher werden die Namen verlesen. Allzu viel Aufmerksamkeit erregt die Installation nicht, sie wird bald auch wieder abgeräumt.
Bodo Ramelow, Thüringens Ministerpräsident, nimmt an der Aktion teil. Er sagt: „Wenn man das Totenbuch von Buchenwald liest, liest man Europa.“ Ramelow ist ein Politiker der klaren Rede. Antifaschismus klingt bei ihm nicht formelhaft. In Thüringen wird die AfD mit Björn Höcke in Umfragen als stärkste Partei gehandelt. Weimar, die Zeitkapsel und Kunstschatzkammer, ist da auch so etwas wie eine demokratische Insel mit dem ebenso glänzenden wie schweren Erbe der Weimarer Republik.
Friedrich Nietzsche verbrachte hier seine letzten Jahre bis zum Tod im Jahr 1900, geistig schon abgetreten. Seine Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche, Witwe eines militanten Antisemiten und Protofaschisten, war hellwach. Sie baute als übergriffige Nachlassverwalterin einen Kult um den Bruder auf, bestimmte auch posthum seine Ikonografie und diente sich später den Nazis an.
Vorsicht Nietzsche!
Das Museum Neues Weimar zeigt zum Kunstfest „Nietzsche privat – eine unmögliche Ausstellung“. Möbel und andere Alltagsgegenstände des Philosophen sind hier erstmals öffentlich zu sehen. Aber gleichsam mit Disclaimer: Es soll keine Kultstätte sein, daher stehen die Objekte in Speditionskisten oder einfach so im Raum, kaum restauriert. Eine übertriebene Vorsichtsmaßnahme, schließlich war der Philosoph kein Obernazi. Und der Esstisch, der Schrank, der Toilettenstuhl sprechen in ihrer Banalität für sich. Paint it black: Es bleibt ein Rätsel, warum all die Nietzsche-Klamotten seinerzeit sämtlich schwarz angestrichen wurden. Es ist die Geburt der Tragödie aus dem Geist des bürgerlichen Wohnzimmers.
Das Monster Ubu
Dem entsprang einst auch Alfred Jarrys Monsterfigur entsprungen, der hässliche Protagonist seiner berühmten Farce „Ubu roi“, 1896 in Paris uraufgeführt: ein Skandal vor allem wegen der Fäkalsprache. Der katalanische Künstler Joan Miró (1893-1983) war fasziniert von dieser Theaterlegende der Moderne. Darin spiegelte sich für ihn Franco, Spaniens faschistischer Diktator. Miró schuf Ubu-Masken und -Marionetten, absurde Faschingsfiguren, die auch an tribal art erinnern. Und der Regisseur Robert Wilson hat daraus ein Stück gemacht: „Ubu“.
Keine große Inszenierung, mehr eine Fingerübung. Eine unterhaltsame Stunde. Premiere war vergangenes Jahr in Palma, jetzt ist die Produktion mit Unterstützung aus Spanien in Weimar zu sehen; das Kunstfest könnte finanziell besser ausgestattet sein. Albtraumgestalten besetzen eine Landschaft aus Zeitungspapier. Ein irres Tableau mit Wilsons Stimme aus dem Off, das an Spannung und Drohpotenzial verliert, je mehr Bewegung hineinkommt. Es ist das Schicksal so mancher Kunstfigur: Die Realität entzaubert sie – und nicht umgekehrt.