Wer die Archive plündert : Was hat Donald Trump motiviert, als er Geheimakten mitnahm?
Als Donald Trump das Weiße Haus verlassen musste, ließ sich die bittere Wahrheit für ihn nicht mehr leugnen. Er hatte die Wahlen verloren. In den Palast der Macht, an dem er so viel Freude hatte, sollte ein anderer einziehen.
Intensiv wetterte Trump auf Twitter wider gefälschte Wahlergebnisse, manipulierte Zählmaschinen und den rundum unrechtmäßigen, ungeeigneten Nachfolger. Es nutzte alles nichts, die Umzugswagen rollten an. Da hieß der Abgewählte seine Leute Kartons und Kisten voller „classified documents“ packen, Geheimdokumente des Staates, dem er, so oder so, gedient hatte. Sie wurden nach Mar-a-Lago verschafft, sein Domizil in Florida.
Jetzt ist Amerikas notorischer Ex-Präsident wegen dieser Vorgänge angeklagt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, als Privatmann Informationen zur Landesverteidigung gebunkert zu haben, mit Vertuschen und Falschaussagen die Justiz behindert zu haben und so fort. Trump und ein Adlatus könnten in Haft landen, für Jahre. Er selber hält sich für „hundert Prozent nicht schuldig.“
„Das Rätselhafte an der ganzen Angelegenheit ist und bleibt die Frage, warum Trump so an diesen Dokumenten hing“, schreibt David A. Graham, Redakteur der US-Zeitschrift „The Atlantic“.
Ja, was waren Trumps Motive? Warum, um alles in der Welt, wollte der Mann die vielen Kisten voller Papiere mitschleppen in seine Residenz am Meer, die den Eindruck eines postmodernen Luxushotels erweckt? Was hatte er davon, neben einem marmornen Waschbecken im Bad und auf dem Sims über dem Parkett in einem Festsaal in Florida meterweise „sensitive information“, offizielle Geheimdokumente in sogenannten „Bankers Boxes“ zu stapeln?
Im September 2022 hatte Trump im Interview mit Moderator Sean Hannity auf dem Sender Fox News seine Auffassung beteuert, als Präsident könne er Dokumente jederzeit freigeben, sogar, indem er einfach daran denke. Dafür existiere, soweit er wisse, kein formales Verfahren. („There doesn’t have to be a process, as I understand it. You’re the president of the United States, you can declassify just by saying it’s declassified, even by thinking about it.”)
Für die Ursache von Trumps Verhalten bieten sich eine Reihe von Optionen an. Probeweise lassen sie sich einige so benennen: Option Eins: Legitimer Anspruch, Option Zwei: Sabotage des Nachfolgers, Option Drei: Kriegsbeute-Logik, Option Vier: Business-Kalkül, Option Fünf: Magisches Denken, Option Sechs: Schiere Angeberei. Let´s have a look.
Legitimer Anspruch. Naheliegend ist diese Option, die Trumps eigenen Aussagen entspricht, denen ein erheblicher Teil seiner Anhänger bis heute folgt. Danach sieht er sich um den Wahlsieg betrogen und glaubte nach der Wahl Joe Bidens an eine baldige Rückkehr ins Amt, womöglich hatte er den von ihm noch anzuzettelnden Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021 im Sinn. Gemäß dieser Vorstellung mag er gedacht haben: Die Kisten stehen mir zu, denn ich bin ja weiterhin der Präsident. Das Material wird schon wieder an seinen Platz kommen, wenn ich an meinen legitimen Platz zurückkehre. Einstweilen bringe ich es in Sicherheit. Mit dem Satz: „I dont want people to go through my boxes“, wird Trump zitiert, als er im Mai 2022 aufgefordert worden war, das Material zurückzugeben. „My boxes“ – in seiner Fantasie sind es seine.
Sabotage des Nachfolgers: Der nach Trumps Auffassung zu Unrecht ins Amt gehobene Nachfolger soll kein leichtes Spiel haben. So könnte seine Fantasie klingen: Was ich mitnehme wäre das Material, das der Usurpator eventuell brauchen und verzweifelt suchen würde, so wie einer seine Brille, ohne die er nicht lesen kann. Was wäre da für ein Aufruhr im Weißen Haus, wenn die überall herumwühlen und diese wichtigen Sachen sind verschwunden! Außerdem: Ich tue dem Land einen Gefallen, indem ich den Nachfolger daran hindere, diese zentralen Dokumente in seine Hände zu bekommen, und damit nichts als Unfug zu veranstalten. Noch als der, den man um den Sieg betrogen hat, beschütze ich mein Land! Ein Retter! Ein Held! So oder so sollte der Nachfolger ins Verderben gestürzt werden. Ähnlich handelt ein geschasster Vereinsbuchhalter, der aus Wut auf den Verein die Leitzordner mitnimmt.
Kriegsbeute-Logik. Darin waltet eine krude, schlichte Logik, die der Idee der kriegerischen Eroberung und Aneignung entspricht, mit der Trump den Präsidentensitz bestiegen hatte. Sie lautet etwas so: Okay, ich habe die Schlacht verloren, aber ehe ich das Schlachtfeld verlasse, schleppe ich die wichtigsten Schätze ab. Plündern, Rauben, Verschleppen, Stehlen – das tun in der Regel die Sieger, und indem ich genau das mache, stelle ich mir vor – und zeige den anderen – dass ich trotz allem der Sieger geblieben bin. Ich hocke auf einem Berg von Insignien der Macht, die habe ich von der Machtburg, die mir verwehrt wurde in meinen eigenen Bau geschleppt – das eigentliche Weiße Haus, in dem ich Hof halte.
Business-Kalkül. Geschäftsgeheimnisse lassen sich als Ware verwerten, auch das weiß der Unternehmer Trump: Diesen heißen Stoff kann ich bei Gelegenheit zu Rubeln oder Dollars machen. In den Verschlusssachen, die er abtransportieren ließ, wie ein Erbe, der hurtig eine ererbte Immobilie plündert, ehe andere Erben auftauchen können, sollen sich unter anderem Informationen über US-Atomprogramme befinden. Darüber hinaus Dokumente über die Kapazität von Verteidigungs- und Waffensystemen auch weiterer Nato-Mitglieder, über Strategien der Reaktion auf militärische Angriffe und so fort. Wen würde es da nicht alles geben, dem man das im Zweifelsfall anbieten könnte, oder der dafür zahlt, dass es unter Verschluss bleibt! Business bleibt Business, soviel ist mir klar.
Magisches Denken. Macht über die Archive ist Macht über Geschichte und Gegenwart, heißt es in der Archivwissenschaft. Soviel dürfte auch Trump gedämmert haben, als er seinen Chefsessel aufgeben musste. In seinem Märchen ähnelt das Präsidentenamt dem eines Konzernchefs, der demokratische Rechtsstaat ist nicht politisch konnotiert, sondern eine Sache der Macht, der Manipulation und der Magie des Charismas, durch das Behauptungen für die Anhänger zur Wahrheit mutieren. Mithin: Man hat mich aus dem Palast gejagt, aber Ihr werdet sehen, das Geheimwissen von dort gehört mir, nur mir, das gibt mir magische Macht. Wer Reichsapfel und Zepter hat, den kann man gar nicht wirklich entmachten, all das hat die Kraft eines Zauberstabs! L’État, c’est moi, der Staat, das bin ich, also der mythische Konzernchef, das bin ich.
Schiere Angeberei. Der innere Monolog wäre: Meine Leute, meine Familie, mein Personal, meine Gäste: Alle werden Tag und Nacht daran erinnert, welch exklusiven Zugang zur Macht ich hatte! Besser als Teppiche oder Porzellan aus dem Weißen Haus, besser als Fotos von mir im Oval Office, mächtiger und wichtiger sind diese hochgeheimen Akten, die nur der allerwichtigste Mensch haben darf! Nur ich! In solchem Gestus zeigte Trump dann und wann Journalisten geheime Dokumente und Landkarten, mit der augenzwinkernden Bitte, nicht so genau hinzusehen, da das Material streng vertraulich sei.
Das große Trump-Geheimnis scheint: Vermutlich spielte das gesamte Bündel all dieser Gründe mit, als er das Material abschleppen ließ. Sicher scheint: So wenig Trump von politischen Prozessen, von Dialog und Demokratie versteht, so viel versteht der Unternehmer und Entertainer von der Bedeutung, die Dokumente und Papiere in der Sphäre der Macht besitzen. Autobesitzer ist, wer den Fahrzeugschein hat. Immobilienbesitz muss im Grundbuch stehen. Geschäftsinhaber kann nur sein, wer über Bücher und Bilanzen waltet.
Business bleibt Business. Und Illusion bleibt Illusion. In diesem Fall hat die Illusion das Business übertölpelt. Bis der Staatsanwalt kam.