Proustbetrieb: Der Schriftsteller, der Maler und die Wirklichkeit
Als der Erzähler im zweiten Band von Marcel Prousts „Recherche“ das erste Mal die Gruppe junger Mädchen auf der Strandpromenade von Balbec erblickt, wirkt das auf ihn, als seien sie ein ganzer Körper, nicht mehrere Individuen, „ein leuchtender Komet“.
Erst nach und nach bekommen sie ihre Besonderheiten, insbesondere „die kleine Simonet“, deren Vornamen Albertine der Erzähler noch nicht kennt. Wie ein Mantra fällt dann der Name Simonet gleich neun Mal auf zwei Seiten, als würde ihm ein einziger Zauber innewohnen.
Albertine Simonet
Das unterstreicht die Bedeutung Albertines für das Folgende, hat aber einen weiteren gewichtigen Grund: In Simonet verbirgt sich auch der Name eines großen Malers: Claude Monet. Und dieser und vor allem seine Bilder bilden noch vor vielen anderen Malern, auf die die „Recherche“ Bezug nimmt, den Humus, auf dem Prousts Erzählung mitgedeiht, angefangen mit den Seerosen auf der Vivonne in der Gegend von Guermantes.
Schon in Prousts Debüt „Freuden und Tage“ und dem Romanfragment „Jean Santeuil“ verweisen einige Landschaftsbilder auf Monet, und in einem Essay gab sich Proust schließlich offen als Liebhaber der Malerei und besonders von Monet zu erkennen.
Ein solcher kenne und schätze „zwangsläufig die von einem Segel durchfurchten Flüsse zwischen ihren grasbewachsenen Ufern“, schrieb er, viele Jahre bevor sein erster „Recherche“-Band erschien, ein solcher kenne und schätze „das blaue Meer von Antibes, die verschiedenen Tageszeiten, gewisse Perspektiven in Rouen, wo die Kathedrale zwischen den Häusern erscheint und sich die Spitze ihres Turms sowie ihre kraftvoll gerippte Fassade von den flachen Dächern und den kompakten Hausmauern abhebt,…“.
Gerade im „Im Schatten junger Mädchenblüte“ sind die Bezüge auf Monet zahlreich. Zunächst, als der Erzähler mit Swann Ausstellungen besucht, dann beim Beginn der Fahrt nach Balbec, hier sind es Monets Bilder der Gare Saint-Lazare, und der Ankunft bei Sonnenaufgang, nämlich Monets „Impression. Soleil levant“.
In der Folge erinnern schließlich viele Landschaftsbilder und Seestücke an den Impressionisten, all das kulminierend in der Begegnung des Erzählers mit dem fiktiven Maler Elstir. Da ist beispielsweise von Schatten die Rede, die „die offene Weite des Meeres verlassen“ hatten, oder die „langsam auf dem Meer dahergeschwommen kamen wie Delphine“.
Ja, es ist dann in diesem Band nicht nur ein Lesen, sondern man kann Marcel Prousts Bilder richtiggehend anschauen. Wie heißt es in dem kurzen Monet-Essay: Wenn man Bilder, „aus einiger Entfernung, richtig zu betrachten weiß, enthüllen sich in ihnen wichtige Teile der Wirklichkeit.“
Gerrit Bartels ist stellvertretender Ressortleiter Kultur und Literaturredakteur.