Bayern-Boss Kahn nimmt Spieler in die Pflicht: „Wer war hier noch mal die Mannschaft, die deutscher Meister werden wollte?“
Die Krise des Rekordmeisters FC Bayern München spitzt sich zu. Die Münchner verloren am Samstag mit 1:3 (1:0) bei Thomas Tuchels Ex-Klub FSV Mainz 05 und musste am Abend die Tabellenführung an Borussia Dortmund abgeben, das 4:0 gegen Eintracht Frankfurt gewann. Der neue Bayern-Trainer Tuchel erlebte drei Tage nach dem Aus in der Champions League eine bittere Rückkehr an die alte Wirkungsstätte, wo er von 2009 bis 2014 fünf Jahre Chefcoach gewesen war.
„Wir können uns nicht mehr aufbäumen. Geht nicht. Ich weiß nicht wieso“, sagte Tuchel. Er glaubt, „es ist einfach zu viel passiert für die Mannschaft, die kann sich nicht mehr auflehnen dagegen, wenn Dinge schieflaufen“. An den drei geplanten freien Tagen für sein Team will Tuchel auf jeden Fall festhalten. „Dringend für alle“, betonte der 49-Jährige. „Weil Energie fehlt, und die holen wir uns nicht, wenn wir alle einbestellen und weitermachen.“
Vor 33.303 Zuschauern in der ausverkauften Mainzer Arena gingen die Bayern zwar durch ein Tor von Sadio Mané (29. Minute) in Führung. Doch Ludovic Ajorque (65.), Leandro Barreiro (73.) und Geburtstagskind Aarón Martín (79.) drehten die Partie in der zweiten Halbzeit sensationell. Die Mainzer stellten mit dem zehnten Spiel ohne Niederlage in Serie einen neuen Vereinsrekord auf.
Über weite Strecken bewährte sich das taktische Konzept der Mainzer, den Bayern kaum Raum zur Entfaltung und für Chancen zu bieten. Nach dem Aus in der Königsklasse, viel Unruhe und vielen Vorwürfen gegen die sportliche Führung um Vorstandschef Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic fehlte es bei den Bayern-Spielern weiter an Selbstbewusstsein und Siegeswillen.
Es stimmt vorne und hinten nicht.
Sky-Experte Lothar Matthäus
Bayern Münchens Vorstandsboss Oliver Kahn nahm nach der Pleite die Spieler deutlich in die Pflicht. „Wer war hier noch mal die Mannschaft, die deutscher Meister werden wollte? Mit so einer Ausstrahlung wird es ganz schwer, Meister zu werden“, betonte der Ex-Profi und sprach nach dem 1:3 von einer „katastrophalen“ zweiten Halbzeit „Irgendwann muss sich jeder einzelne selbst an die Nase fassen, ob das das ist, was reicht, um deutscher Meister zu werden“, sagte Kahn.
Tuchel sei der Letzte, über den sie diskutieren müssten, betonte Kahn, der nach der Trennung von Julian Nagelsmann und dem bislang wenig erfolgreichen Engagement von Tuchel selbst in die Kritik geraten ist. „Ich habe in meiner Karriere vieles erlebt, und ich weiß, was das bedeutet, wenn es beim FC Bayern nicht gut läuft. Verantwortung tragen wir alle, damit muss man jetzt einfach umgehen“, sagte er in Mainz. „Aber trotzdem werde ich hier keinen Millimeter nachgeben.“
Thomas Müller: „Ist die Frage ernst gemeint?“
Kahn machte deutlich, wo er das Problem sieht: „Zum Schluss sind das elf Mann, die auf dem Platz stehen und für die Ziele dieses Clubs sich den Hintern aufreißen müssen. Um das geht es im Fußball und um nichts anderes.“
Thomas Müller sagte nach dem Spiel: „Wir sind angeknockt, würde ich sagen.“ Und weiter: „Ich bin etwas ratlos, wie es zu dieser Situation kommt.“ Auf die Frage, wie sehr es ihn ärgere, dem BVB eine Steilvorlage geliefert haben, antwortete er genervt: „Ist diese Frage ernst gemeint?“ Um dann hinterherzuschieben: „Ja, maßlos, aber das ist völlig klar. Aber wie gesagt, ich habe gerade versucht zu beschreiben, ich weiß nicht, was ich jetzt noch hinzufügen kann, was ihnen und mir dann weiterhilft.“
Lothar Matthäus hatte als Sky-Experte deutliche Worte über einen ehemaligen Klub: „Es stimmt vorne und hinten nicht“. Die Leistung sei insbesondere in der zweiten Halbzeit „unterirdisch“.
Die Gastgeber ließen nach dem 0:1 kaum noch Chancen zu
Dabei hatte Mané nach einer Maßflanke von João Cancelo per Kopf zur Führung getroffen. Der 31-Jährige war Antreiber, bereits in der 14. Minute hatte er Startelf-Rückkehrer Thomas Müller mit einem Querpass vor dem Tor bedient, doch der Mainzer Silvan Widmer konnte den Schuss in letzter Sekunde abblocken. Eine Minute später traf Mané das erste Mal ins gegnerische Tor, doch nach Einsatz des Videobeweises wurde der Treffer nicht anerkannt.
Viel mehr Chancen ließen die Gastgeber, die zu Hause zuletzt zweimal gegen den FC Bayern gewonnen hatten, nicht zu. Allerdings hatten die Rheinhessen selbst kaum Kontermöglichkeiten. In der 26 Minute bot sich die Chance für Leandro Barreiro, er war im Strafraum an drei Bayern-Spielern vorbeigesprintet, doch beim Schuss rutschte der Ball über den Fuß. Danach war es Karim Onisiwo, der in der 43. Minute allein auf das Tor zulief, beim Schussversuch an der Strafraumgrenze aber ausrutschte und nur auf dem Bauch landete.
Nach dem Wiederanpfiff trumpften die Mainzer auf. Nach einem Freistoß von Aarón bekamen die Bayern den Ball nicht weg, sodass der Südkoreaner Jae-sung Lee aus dem Rückraum zum Schuss kam. Bayern-Torwart Yann Sommer konnte den Ball aber nicht festhalten und Ajorque köpft den Ball zum ein. Für den Franzosen war es an den letzten acht Spieltagen das sechste Tor. Barreiro (73.) und Aarón (79.) machten die Mainzer Party perfekt. (Tsp/dpa)