Daniel Barenboims Rücktritt: Die ausgebremste Zukunft
In der Tat gehört er zu den Jahrhundertkünstlern, wie Berlins Kultursenator Klaus Lederer ihn nun zu Recht würdigt. Schon deshalb hätte man Daniel Barenboim einen weniger verstolperten Abschied von seinem Staatsopern-Amt gewünscht, als mit seinem krankheitsbedingt erklärten Rücktritt zum Ende des Monats. Und dem Opernhaus selbst, das zu Saisonbeginn bei Dmitri Tscherniakows neu inszenierter „Ring“-Tetralogie nach zwei Jahren Pandemie endlich wieder ausverkaufte Säle und überregionale Aufmerksamkeit verzeichnete, wünschte man bessere Aussichten als jenes Machtvakuum, in welches das Haus jetzt noch mehr gerät.
Intendant Matthias Schulz, der sein Amt 2018 eigentlich als Hoffnungsträger für einen Aufbruch an der Staatsoper antrat, hört 2024 auf, um dann das Opernhaus Zürich zu leiten. Seine Nachfolgerin Elisabeth Sobotka ist derzeit Chefin der Bregenzer Festspiele – sie kennt die Staatsoper aus ihrer Zeit als Operndirektorin von 2002 bis 2007. Wie sollen ein bald schon scheidender Chef und eine Intendantin in spe die anspruchsvolle Personalfrage eines neuen Generalmusikdirektors lösen?
Wie will vor allem Klaus Lederer sie lösen? Die Herausforderung, der sich der Linke-Politiker mit der Nachfolge für den Jahrhundertkünstler nun stellen muss, hat er sich selber eingebrockt. Solche Posten an großen Häusern sind schon wegen des mehrjährigen Vorlaufs im Buchungskalender hochkarätiger Dirigent:innen kurzfristig kaum zu besetzen. Übergangszeiten mit Teilzeit-Musikdirektoren-Tätigkeit wie etwa bei Kirill Petrenkos Amtsantritt bei den Philharmonikern an der Tagesordnung. In der Lindenoper dürfte es auf eine längere Vakanz hinauslaufen.
Bei allem unbedingt angebrachten Respekt gegenüber Barenboims künstlerischen und auch organisatorischen Verdiensten (seinem Einsatz ist es zu verdanken, dass die Staatskapelle eins der bestbezahlten Orchester Deutschlands ist): Lederers Bremsmanöver bei der Zukunftsgestaltung der Staatsoper waren fahrlässig.
Es war der sonst oft so entschlossene Lederer (dem die Hauptstadt eine gute Corona-Kulturpolitik verdankt), der Barenboims Vertrag im Juni 2019 bis 2027 verlängerte, vorzeitig und während des Höhepunkts der hausinternen Krise und öffentlichen Debatte um den Führungsstil des Generalmusikdirektors.
Barenboim hat die Vorwürfe einer Angstatmosphäre immer bestritten, sprach von Angriffen gegen seine Person. Das Online-Klassik-Magazin „Van“ berichtete jedoch im Januar 2022 nach einer gründlichen Recherche und mit Verweis auf vorliegende Dokumente, dass das Arbeitsklima weiterhin angespannt ist, Klärungs- und Mediationsprozesse weitgehend ohne Barenboim stattfanden.
Es ist dem Maestro hoch anzurechnen, dass er nun zurücktritt, um den Weg für eine neue alte Staatsoper freizumachen. Dass dieser Weg unnötig steinig sein wird, geht auf das Konto des Kultursenators.
Christiane Peitz ist Kulturautorin und geht seit 30 Jahren in Konzerte und Opernaufführungen mit Daniel Barenboim am Pult und am Klavier.
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