Fantasy-Hit „H.O.R.D.E.“ als Comic: Mit dem Nachttopf gegen Goblins und Untote
Fantasy-Pen-and-Paper-Rollenspiele haben das vermeintliche Verlies der öffentlichen Wahrnehmung – und sowieso der Popkultur – schon vor geraumer Zeit verlassen. Heute werden die Sessions mancher Rollenspiel-Gruppen sogar für ein riesiges Live-Publikum gestreamt, teils zum Franchise ausgebaut und ferner multimedial adaptiert.
Das berühmteste Beispiel für diese Entwicklung dürfte wohl „Critical Role“ aus den USA sein: Die seit 2015 im Internet übertragenen „Dungeons & Dragons“-Spielesitzungen von bekannten Synchronsprechenden wie Matthew Mercer oder Ashley Johnson wurden ein Riesenhit, inzwischen gibt es allerhand Adaptionen und Merchandise, darunter Comics, Romane und die Amazon-Animationsserie „The Legend of Vox Machina“.
In Deutschland wurde kürzlich mit „Letzte Beute“ sogar ein Krimi-Rollenspiel in die ARD-Mediathek gestellt. Außerdem haben wir, um zur Fantastik zurückzukommen, seit 2021 das „H.O.R.D.E.“-Projekt von Fantasy-Bestsellerautorin Liza Grimm („Talus“, „Hinter den Spiegeln so kalt“), den Let’s-Play-Streaming-Stars Gronkh, Pandorya und PhunkRoyal sowie dem Berliner Comickünstler Marvin Clifford, der eine Zeitlang auch für den Tagesspiegel gearbeitet hat. Sie erreichen mit den Video-Live-Streams und Aufzeichnungen ihrer Fantasy-Rollenspiele, die ein eigenes RPG-Regelsystem und eine eigene fiktive Welt als Setting nutzen, via YouTube und Twitch Zehntausende Zuschauende.
Von der Charakter-Erstellung der genretypischen Spielfiguren bis zu den einzelnen Etappen der vorgefertigten Kampagne, auf welche die Spielenden reagieren müssen, wird alles von einer kommentierenden Community verfolgt. Dabei wird am Tisch viel gescherzt und gelacht, der Fun-Faktor steht für alle Beteiligten spürbar immer an oberster Stelle. Das gilt ebenso für den ersten Band der Comic-Adaption, der soeben erschienen ist und bereits durch Vorbestellungen ein Online-Bestseller wurde.
Fantasy mit Humor
„HORDE – Das Erste Zeitalter Band 1: Queste vor dem Feste“ bedient sich inhaltlich an der ersten Staffel, der ersten Spielrunde, und verarbeitet diese in Comic-Form. Die Heilerin Lysatrya und der als Bronko der Brachiale bekannte Krieger sind ein ungleiches Liebespaar – und stehen vor der Eröffnung eines Gasthauses, das sie vom Landvogt zum Dank für ihre heroischen Taten geschenkt bekommen haben. Zur Einweihung der Taverne laden sie ihre alten Freunde ein, den geschmeidigen Dieb Snarph und den unbeholfenen Zauberer Willibert.
Doch dann findet sich das beschauliche Dorf plötzlich unter einem Abschirmungszauber wieder. Um ihn zu brechen, schickt die junge Dorfhexe Verina die wiedervereinte Truppe auf eine Queste. Zwischen Hafen und Friedhof muss die kleine Heldenhorde ein Rezept für den Gegenzauber beschaffen. Es ist, natürlich, der Beginn eines gefährlichen Abenteuers, in dessen Verlauf Lysatrya, Bronko, Snarph und Willibert fast totgequasselt werden, aber auch das Blut von Goblins und den Schmodder von Untoten spritzen lassen …
Für jeden Gag zu haben
Diese Geschichte in der von Liza Grimm erdachten Welt ist klassische Schwert-und-Magie-Fantasy, traditionelle Rollenspiel-Fantasy – mit Sinn für Action und Humor, die in diesem Sujet schwerer wiegen als die Epik. Entsprechend leichtherzig und lustig geht es zu, etwa wenn Hexe Verina der Gruppe lediglich einen Nachttopf als Wunderwaffe aus ihrem Fundus mitgeben kann. Das fängt den Spirit der zugrundeliegenden Rollenspiel-Sessions ein, zeigt den augenzwinkernden Umgang mit dem gesamten Genre und dessen bewährten Mustern.
Das Artwork des Berliner Künstlers Marvin Clifford, der das Script der Comic-Adaption zusammen mit Grimm verfasst hat, passt stilistisch gut zu dieser Art von Funny Fantasy, und zu diesem Ansatz: recht cartoonig und doch realistisch genug, in den richtigen Momenten übertrieben und ausdrucksstark, und letztlich für jeden Gag zu haben. Die kräftigen Farben leuchten zudem, und der Look ist klar digital. Splatter und Slapstick bieten derweil noch einen weiteren Kontrast, der sich visuell niederschlägt.
Clifford machte sich einst durch die ganz ähnlich tickende, ebenfalls mit der Videogame- und Rollenspiel-Szene verbandelte Fantasy-Serie „Shakes and Fidget“ einen Namen, es folgten der semi-autobiografische, mit dem Max-und-Moritz-Preis prämierte Webcomic „Schisslaweng“, die Stadtgeschichten-Reihe „Mittenmang“ auf den Seiten des „Tagesspiegels“ und die aktuelle Videospiel-Webcomic-Parodie „Lootboy“. Seinen Freund und Atelier-Nachbarn Flix hat Clifford in „HORDE – Das Erste Zeitalter Bd. 1.: Queste vor dem Feste“ übrigens auf makaber-witzige Weise verewigt. Sozusagen in Stein gemeißelt. Einfach mal drauf achten beim Lesen, kaum zu übersehen.
Fortsetzung folgt …
Der Comic-Auftaktband „Queste vor dem Feste“ zeigt nur den Anfang des ersten RPG-Abenteuers und der ursprünglichen „H.O.R.D.E.“-Spielrunde. Der Band endet mit der mehr oder weniger heroischen Truppe im Antlitz eines bedrohlichen Schattens – einem bewährten „Fortsetzung folgt ...“-Cliffhanger also, bevor noch ein paar Infos zu den Charakteren und ihren Playern bzw. den Kreativen kommen. Für 2023 sind weitere Bände in Arbeit, nach Angaben von Gronkh auf Twitter sollen es wohl vier Comics für das erste Zeitalter und die erste Runde werden.
Denn das Abenteuer, so viel weiß man dank der Video-Streams ja, geht weiter. Wer sich ein bisschen spoilern möchte, was die Handlung angeht, kann das online im Archiv der launigen Rollenspiel-Sessions tun, oder in der kurz vor dem Comic veröffentlichten Zusammenfassung des ersten Zeitalters als Animationskurzfilm, die sogar Cliffords Artwork nutzt.
Diese nun auch erfolgreich ins Reich der Comics vorgestoßene Fantasy-Rollenspiel-Horde ist und bleibt eben ein schwer multimediales Phänomen.
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