Vom Küken bis zum Opa: Das sind die besten Para-Sportler*innen des Jahres
Natürlich, der traditionell starken Konkurrenz aus Russland und Belarus war kurz vor den Winter-Paralympics das Startverbot erteilt worden. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine sollten die Sportler*innen aus diesen beiden Ländern nicht teilnehmen dürfen.
Doch machte dieser Umstand ausgerechnet Linn Kazmaier gleich zu einer Favoritin auf einen Medaillengewinn in Peking? Sie war doch mit 15 Jahren das Küken der deutschen Mannschaft. Und es war ihr verdammtes Debüt auf dieser großen Bühne.
Denjenigen, die den sensationellen zweiten Platz der sehbeeinträchtigten Langläuferin und ihrem Guide Florian Baumann zu Beginn womöglich schmälern wollten – denjenigen zeigte es das Duo in den folgenden Tagen so richtig. Es kamen eine weitere Silbermedaille hinzu, einmal Bronze, das dritte Silber – und schließlich zum krönenden Abschluss Gold.
Kazmaiers 18 Jahre alte Teamkollegin Leonie Walter – ebenfalls in den nordischen Disziplinen mit Guide Pirmin Strecker am Start – übertraf ebenfalls alle Erwartungen und steuerte drei Bronze- und eine Goldmedaille zum deutschen Gesamtergebnis hinzu.
Es erschien selbst für das erfahrene Trainerteam von Kazmaier und Walter einigermaßen schwierig, diese überraschend reiche Ausbeute richtig einzuordnen. Genau so schwer tat sich nun scheinbar das achtköpfige Expertengremium, das für den Deutschen Behindertensportverband (DBS) eine Vorauswahl treffen sollte zur traditionsreichen Wahl der Para-Sportler*innen des Jahres.
Kazmaier und Walter sind aufgrund ihres Alters klare Kandidatinnen für die Rubrik „Para-Nachwuchssportler*in“, in der die beiden Athletinnen neben Radsportler Maximilian Jäger auch nominiert sind. Doch aufgrund ihrer bahnbrechenden Erfolge stehen sie auch in der ungleich renommierteren Königinnenrubrik „Para-Sportlerin“ zur Wahl. Genau dieser etwas kuriose Umstand fasst das unglaubliche Jahr der beiden Überfliegerinnen wohl perfekt zusammen.
Unter die fünf Nominierten zur Wahl der Para-Sportlerin des Jahres schaffte es auch Monobobfahrerin Anna-Lena Forster. Die 27-Jährige verteidigte in Peking ihre Erfolge im Slalom und der Superkombination von 2018 und fuhr in zwei weiteren Disziplinen zu Silber.
Darüber hinaus freuen sich Maike Hausberger und Annika Zeyen über Stimmen. Die beiden Radsportlerinnen gewannen im Sommer bei den Weltmeisterschaften in Kanada jeweils zwei Goldmedaillen.
Bei den Männern schaffte es etwas überraschend lediglich ein Wintersportler unter die fünf Nominierten. Dies wird allerdings dem Umstand geschuldet sein, dass die Männer in Peking mit drei Medaillengewinnen eher enttäuschten – im Vergleich zu den insgesamt 16 Medaillen, die die Frauen feiern konnten. Zwei der drei Medaillen sicherte sich Marco Maier – und auch der 22-Jährige, dem mehrere Fingerglieder fehlen, hatte vor seiner Paralympics-Premiere wie seine nordischen Teamkolleginnen Kazmaier und Walter nicht unbedingt zu den Favoriten gezählt.
Die übrigen vier Nominierten bei der Wahl zum Para-Sportler des Jahres hingegen bestätigten 2022 ihre Weltklasse. Der 54 Jahre alte Rennradfahrer Michael Teuber gewann in Kanada den WM-Titel im Zeitfahren – für den fünfmaligen Paralympicssieger war es die insgesamt 21. Goldmedaille bei Weltmeisterschaften seit seinem Debütsieg vor 24 Jahren.
Ob Taliso Engel irgendwann einmal auf eine solche Karriere schauen kann, bleibt noch ein wenig abzuwarten. Doch zumindest verteidigte der 20 Jahre alte Schwimmer mit Sehbeeinträchtigung in diesem Jahr schon Mal seinen WM-Titel von 2019 – und bestätigte über seine Paradestrecke 100 Meter Brust zudem seinen Paralympicssieg und seinen EM-Titel aus dem vergangenen Jahr.
Ebenfalls auf absolutem Erfolgskurs befinden sich die Tischtennisspieler Valentin Baus und Thomas Schmidberger. Die beiden Nominierten ließen sich bei der WM in der vergangenen Woche in Granada nicht aufhalten. Baus gewann nach 2014 sein zweites WM-Finale und hält aktuell im Einzel nach EM-Sieg und Paralympics-Gold alle drei großen Einzel-Titel. Für Schmidtberger, der seit 2010 bei jeder WM im Finale stand, war es – in anderer Startklasse als Baus – der erste Triumph. Zuvor hatten die beiden Rollstuhlfahrer im Doppel bereits Silber geholt.
Auch bei der Wahl zum Para-Team des Jahres ist der Tischtennissport vertreten. Das Mixed-Doppel aus Sandra Mikolaschek und Thomas Brüchle, frisch dekoriert mit dem WM-Titel, tritt an gegen das Badminton-Doppel aus Rick Hellmann und Thomas Wandschneider und den deutschen Mixed-Vierer mit Steuerfrau (Jan Helmich, Susanne Lackner, Marc Lembeck, Kathrin Marchand und Inga Thöne). Das Ruder-Team landete bei den Weltmeisterschaften im September in Tschechien hinter den amtierenden Paralympics-Siegern aus Großbritannien auf Platz zwei.
Das Rollstuhl-Duo Hellmann/Wandschneider feierte Anfang November in Tokio einigermaßen überraschend den WM-Titel. Für den 59-jährigen Wandschneider war es nach 2005, 2011 und 2013 bereits das vierte WM-Gold im Doppel – für seinen 34 Jahre alten Partner Hellmann das erste. Bei der Paralympics-Premiere im Badminton war 2021 für Wandschneider noch in der Vorrunde Schluss gewesen. Stolz ist er trotzdem gewesen: „Ich war als zweifacher Opa in Tokio“, lachte Wandschneider damals: „Vielleicht gehe ich 2024 als drei- oder vierfacher Opa nach Paris.“
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