Tanztheater „A Plot / A Scandal”: Voodoo als Widerstand
“Manche Geschichten sind nicht einfach zu erzählen.” Zu dieser Erkenntnis kommt Ligia Lewis in ihrer neuen Tanzperformance “A Plot / A Scandal”, die im HAU1 Premiere feierte. Die domenikanisch-amerikanische Choreografin, die seit einigen Jahren in Berlin lebt, hat viel Aufmerksamkeit erregt mit ihrem Stück “minor matter”, der von der Black Lives Matter-Bewegung anregt war.
In neuen Tanzabend von Ligia Lewis. In dem neuen Stück begibt sie sich auf die Spuren ihrer Urgroßmutter, die 1898 in dem kleinen Dorf Dios Dirá auf Hispaniola lebte. Diese Lolon war eine Widerstandskämpferin und praktizierte Voodoo, obwohl die weißen Kolonialherren das verboten hatten. Und sie besaß als Schwarze Frau ein Stück Land, was ebenfalls als skandalös galt.
Wie aber die Geschichte von Lolon zur Sprache bringen oder zu verkörpern? Mit dieser Frage ringt Ligia Lewis, die in ihren Arbeiten ja immer ihre Position als Schwarze Künstlerin reflektiert. Ligia Lewis unterläuft an diesem Abend immer wieder die Erwartungen des Publikums, dem sie schonmal auf die Pelle rückt.
Sie präsentiert keine spannende und bühnentaugliche Geschichte einer Schwarzen Widerstandskämpferin – und auch keine exotisch-ekstatischen Vodoo-Tänze. Anfangs läuft sie rückwärts im Kreis, sie taumelt und schlenkert mit den Gliedern. Als sie zu sprechen anhebt, kämpft sie mit den Worten und stammelt. Keine politische Message wird hier formuliert, stattdessen produziert Lewis dadaistisch anmutenden Nonsens.
Eine rote Leuchtschrift flammt auf verkündet “Revenge”. Ligia Lewis in grauer Allongeperücke führt mit grimmiger Komik die Figur eines weißen Kolonialsherren vor. Mit einem Stöckchen kickt sie versilberte Totenschädel weg, rutscht plump auf dem Po über die Bühne und verschlingt gierig ein blutiges Steak, das ihm sein Leibeigner (Justin Kennedy ) serviert.
Zerrbilder und Karikaturen
Mit Lust an der Groteske zeichnet Lewis eine garstige Karikatur, und spießt zugleich Zerrbilder über Schwarze auf. Auch wenn sie zum BH eine geräumige Männerunterhose trägt, hat Lewis ein starke erotische Ausstrahlung. Diese setzt sie ein. und verzerrt sie zugleich. Oder überzeichnet sie wie beim Song
Lewis spielt in dem Stück mit den unterschiedliche Bedeutungen von „Plot“. Das englische Wort bezeichnet nicht nur die Handlung einer Geschichte, sondern je nach Kontext auch ein Stück Land. Es geht aber auch um den Komplott als Auflehnung gegen die bestehende Ordnung.Auf der Bühne passiert aber im dritten Teil nicht mehr viel.
Einige Artikel aus dem von Ludwig XIV. erlassenen „Code Noir“ werden zitiert, das Dekret regelte den Umgang der Plantagenbesitzer mit schwarzen Sklaven, erklärte diese zu „Eigentum“. Mit Jahreszahlen soll an die Aufstände in der Karibik erinnert werden, doch die Posen im Hintergrund wirken eher uninspiriert.
Der Tänzer Corey Scott-Gilbert hat spät noch einen Auftritt als John Locke und darf ein bisschen Chaos stiften. Locke, ein Denker der Aufklärung, rechtfertigte gleichwohl die Sklaverei. Es gibt viele historische, phisophische und politische Verweise in dem Stück, deren Zusammenhang erschließt sich aber nur schwer.
Zum Schluss kommt Ligia Lewis doch noch auf ihre Urgroßmutter zurück. In den Augen der Urenkeln stellten deren Vodoo-Rituale einen Skandal dar, einen Akt der Störung der bestehenden Ordnung – ähnlich wie später Nijinksys “Frühlingsopfer”. Ein kühner Vergleich.
Lewis bemalt ihren Körper zuletzt mit weißer Farbe und zerlegt mit einem wahren Furor die Bühne. Sie ist eine ungemein expressive Performerin.. Man spürt ihre Wut und ihren Schmerz, wenn sie nach dem Zerstörungsakt wie kraftlos auf der Bühne zusammensinkt. Ihr gelingen auch immer wieder starke Bilder.
Doch das Stück, das eine Auseinandersetzung mit Rassismus, Kolonialismus und Sklaverei sein will, ist überfrachtet und ächzt unter der wirren Dramaturgie. Ligia Lewis will mit “A Plot / A Scandal” aus dem herrschenden Narrativ ausbrechen. Es ist ein Abend zwischen Ausdruckswut und Verweigerung.