Im Studio am glücklichsten
Es gehört zur Tragik der großen Helden des Pop, dass sie den Meisterwerken ihrer Jugend so gut wie nie Vergleichbares im Alter an die Seite zu stellen vermögen – und ihnen trotzdem nichts anderes übrig bleibt, als immer weiterzumachen. Das gilt besonders für Brian Wilson, der 1966, da war er gerade erst 22 Jahre alt, hauptverantwortlich für das Jahrhundertalbum „Pet Sounds“ war.
Es ist dies das Beach-Boys-Album, das die Popmusik mit seinen Harmoniegesängen, seinen zugänglich-verschachtelten Hit-Kompositionen und seinen Klangforschungsexperimenten mehr noch revolutionierte als die ungefähr zur selben Zeit erschienenen Beatles-Alben „Rubber Soul“ und „Revolver“.
Wilson arbeitete sich an John Lennon und Paul McCartney ab; dasselbe taten die Beatles mit den Beach Boys: Ohne „Pet Sounds“ wäre das ähnlich ambitionierte, ähnlich revolutionäre Beatles-Album „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ nicht denkbar.
Der endlose Sommer der sechziger Jahre aber ist für den am 20. Juni 1942 in Inglewood, Kalifornien geborenen Wilson zu einem Fluch geworden, obwohl er seine beiden jüngeren Brüder Dennis und Carl überlebt hat. Zusammen mit ihnen und ihrem Cousin Mike Love sowie dem Schulkumpel Al Jardine hatte er Anfang der sechziger Jahre die Beach Boys gegründet.
Der Vater schlug ihn, die Stimmen setzten ihm Mitte der 60er zu
Als „Pet Sounds“ erschien, zu dem Zeitpunkt schon das elfte Album der Beach Boys!, verspürte Wilson nur noch wenig Lust, auf Tour zu gehen. Seine psychischen Probleme waren lange offenkundig geworden, die Angststörungen, eine halluzinatorische Schizophrenie.
In seiner Biografie „Ich bin Brian Wilson“ besann er sich auf seine Schwierigkeiten nur mit einer Fragenkaskade: „Woran merkt man, dass die Dinge aus dem Ruder laufen? Fing es 1964 an Bord eines Flugzeugs nach Houston an, als ich die Nerven verlor und entschied, nicht länger mit der Band auf Tour gehen zu können? Fing es bereits in den 1940ern an, als ich Prügel von meinem Vater bekam, weil er meine Art nicht mochte? Fing es in den 1970ern mit den Drogen an oder lange davor, bei den ersten Anzeichen der psychischen Krankheit, mit der niemand umzugehen wusste? Spielt es eine Rolle, wann es genau anfing?“
Wilson saß lieber im Studio als am Strand. Er komponierte lieber und kommunizierte mit seinen Stimmen im Kopf als im Pazifik zu surfen und mit den ewigen Surf-Liedchen, die die Beach Boys bekannt gemacht hatten (von „Surfin USA“ bis zu „California Girls“), auf Tour zu gehen.
“Smile”, das sagenumwobene Album
Es gab Streitigkeiten innerhalb der Band, insbesondere mit Mike Love, es gab Probleme mit der Plattenfirma, und Brian Wilson arbeitete verbissen an „Smile“. Dieses Album sollte zu einem der sagenumwobensten Alben der Popgeschichte werden. Wilson wurde damit nie fertig und brach die Arbeit daran ab.
„Smile“ erschien 1967 einerseits unter dem Titel „Smiley Smile“ gerade einmal als Variation dessen, was Wilson geplant hatte, immerhin mit „Heroes and Villains“ sowie „Good Vibrations“, zwei der besten Beach-Boys-Songs ever. Andererseits verschwanden die „Smile“-Sessions Jahrzehnte im sogenannten Giftschrank.
Erst 2004 wurden sie als „Brian Wilson presents Smile“ und ein paar Jahre später in voller Gänze veröffentlicht.
Wilson hatte das Glück, die sechziger und die siebziger Jahre zu überstehen, trotz seiner schweren psychischen Erkrankung, trotz der vielen Drogen, mit denen er sie zu bekämpfen versuchte, trotz eines Gewichts, das bis zu 160 Kilo betrug, und trotz eines Psycho-Arztes, Dr. Landy, der ihn zwar vor dem Gröbsten bewahrte, dem Tod, aber auch im großen Stil finanziell ausnahm.
“Die Musik hat mir das Leben gerettet”
„Der Teil von mir, der sich mit Musik beschäftigte, war sehr viel reifer, als es meinem Alter entsprach“, hat er in seinen Erinnerungen zu Protokoll gegeben.
Doch den ultimativen musikalischen Reifegrad, den er ja schon hatte, hat er nie wieder erreicht – nicht mit dem 1977 veröffentlichten, von ihm allein komponierten und eingespielten Beach-Boys-Album „Love You“, nicht mit seinem ersten Soloalbum 1980, nicht mit dem Ende der neunziger Jahre veröffentlichten „Imagination“, um nur einige wenige Comeback-Alben zu nennen.
Zuletzt erschien vergangenes Jahr ein Instrumentalalbum, auf dem Wilson seine Klassiker am Piano interpretiert, von „God only knows“ bis zu „Good Vibrations“. Alle seine Wege führen stets zurück in jene Zeit, die er mit den „Pet Sounds“ popmusikalisch definierte – und die doch nicht die seine war. „I just wasn’t made for these times“ heißt einer der „Pet-Sounds“-Titel.
Trotzdem sagt er auf „At The Piano“ rückblickend und dankbar: „Das Klavier und die Musik, die ich darauf mache, haben mir wahrscheinlich das Leben gerettet.“