Auf Berggipfeln und im Plattenbau

Eine Staffelei für unterwegs, ein Kletterseil und das Foto von Berggipfeln dominieren die Installation „Idyll Pursuits“ von Renée Green. Das Werk ist das erste, auf das man in der Ausstellung der US-Amerikanerin in den Berliner Kunst-Werken stößt. Es entstand 1991, während eines Aufenthalts in Caracas, und wie so oft setzte sich die Künstlerin darin mit dem Leben und Tun historischer Figuren auseinander. Zum Beispiel mit ihrem Landsmann, dem Maler George Catlin und seiner Expedition in Südamerika Mitte des 19. Jahrhunderts, die ihn ebenso nach Venezuela führte. Catlin wurde von einem schwarzen Sklaven namens Caesar begleitet, besagt ein Text, auf Keilrahmen gespannt. Das Text-Bild in Schreibmaschinenschrift steht auf der Staffelei, wie zum Weitermalen. Darüber scheint ein Plastikfernrohr auf Ansel Adams’ Bergpanorama zu zielen, dicht unter der Raumdecke angeordnet. Aber das Fernrohr ist gar keins, sondern ein Kaleidoskop.

Im Zeichen des Kaleidoskops

Die 1959 in Cleveland geborene Künstlerin, Filmemacherin, Autorin und Professorin Renée Green hat zurzeit ihren großen Auftritt in Berlin. Mit einer Doppelschau, bei der Kunst-Werke und DAAD-Galerie miteinander kooperieren. Es fällt schwer, angesichts des beleuchteten Schaffenszeitraums (vier Jahrzehnte), der Medienvielfalt (Malerei, Fotografie, Video und mehr) sowie der schieren Anzahl der Werke den Durchblick zu behalten: Eine Soloschau im Zeichen des Kaleidoskops, das nur über diffuses Licht mit dem Außen verbunden ist und beständig neue Muster generiert.

Die Installation „Idyll Pursuits“ gibt einige Leitmotive vor. Green bewegt sich häufig zwischen Archivmaterial und subjektiven Setzungen. Als Afroamerikanerin hat die Künstlerin einschlägige Erfahrungen mit Machtkonstellationen und Konventionsdruck (bei „Idyll Pursuits“ durch einen Malerfürsten wie Catlin personifiziert). Ihre Kunstpraxis scheint oftmals in der Befreiung aus Denkrastern zu bestehen, die Identität formatieren und einhegen. Eine gewisse Unübersichtlichkeit ist die logische Folge.

Green ist eine Weltreisende, die ihre Werke oft im Kontext von Orten entwickelt. „Secret“ besteht aus einer Fotoserie, performativen Videos und einem Szenario für einen (nie gedrehten) Film. Für das Projekt wohnte die Künstlerin 1993 eine Woche lang in Le Corbusiers verlassener Plattenbausiedlung Unité d’habitation im französischen Firminy. Green suchte nach Spuren früherer Bewohner und konstruierte auf der Basis ihrer Recherchen eine Frauenfigur, die Ähnlichkeiten mit ihr selbst aufweist, eine Renée Green mit fiktionalen Anteilen. Häuser verändern Menschen – umstandshalber zum Schlimmen, wie Green mit Zitaten aus Polanskis Film „Der Mieter“ oder Kubricks „The Shining“ andeutet.

Hip-Hop im Archiv

Aus diversen Arbeiten sind Freundschaftsbeziehungen abzulesen. Gerade hier vermischen sich Identitäten. So ist „ED/HF“ (2017) ein aus diversen Fragmenten montiertes filmisches Doppelporträt von Green und ihrem Künstlerfreund Harun Farocki. Der 2014 verstorbene deutsche Filmemacher setzte sich intensiv mit Fragen der Bildproduktion auseinander, was sich in der Arbeit deutlich niederschlägt.

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„Import/Export Funk Office“ (1992-1993) ist ein Archiv der Hip-Hop-Kultur, untergebracht in einer Struktur aus Metallregalen, welche die große Halle im Souterrain dominiert. Gemeinsam mit dem damaligen „Spex“-Herausgeber Diedrich Diederichsen entwickelte Green diese Sammlung. Sie wirft einen kritischen Blick auf den Warencharakter einer Kultur, deren Ursprung aus der afrikanischen Diaspora mitunter vergessen wird. In der Halle wird das Kaleidoskopische zur Kakophonie. Die vielen, dicht präsentierten Arbeiten bergen einfach zu viele Bezüge und Zeichen. Die/der non-binäre KW-Kurator:in Mason Leaver-Yap hat die Lesbarkeit hier ganz preisgegeben.

In der DAAD-Galerie zeigt sich, dass ein beschränkter Ausstellungsraum von Vorteil sein kann, wenn die Kuratorinnen – Natalie Keppler, Melanie Roumiguière – ihn für eine konzentrierte Auswahl nutzen. 1993 und 1994 war Green Stipendiatin im Berliner Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. In der DAAD-Galerie, damals noch in der Kurfürstenstraße, zeigte sie 1995 ihre Arbeit „Certain Miscellanies“ (Gewisse Vermischungen). Darin übersetzte die Künstlerin ihre Begegnungen mit Europa in eine umfassende fotografische Arbeit, die nun auf den jetzigen Ausstellungsraum zugeschnitten wurde. Im Fokus der auf moosgrüner Wand gehängten Schwarzweißbilder stehen Motive, die das Miteinander verschiedener Kulturen und Ethnien thematisieren. Zu Greens Fundstücken zählte ein Schild hinter einem Berliner Wohnungsfenster: „Liebe AUSLÄNDER, Laßt uns mit den Deutschen NICHT ALLEIN“.

[KW Institute, Auguststraße 69, DAADGalerie, Oranienstraße 161, bis 9. Januar]

Mit zwei Videos, die Green 2005 im Rahmen des Einsteinjahrs konzipierte, dem Film „Begin Again, Begin Again“ (2015) um den österreichisch-amerikanischen Architekten Rudolph Michael Schindler und mehr Werken ist auch die Schau in der Oranienstraße Green-typisch sehr inhaltsreich. Aber erst hier wird fassbar, wie sich die Künstlerin in die Biografien anderer Kulturschaffender und in die Geschichte hineindenkt. Reihum hängen bunte Textildrucke, „Space Poems“ genannt, von der Decke: Voller Jahreszahlen, historischer Spekulationen – „After the Revolution Came the Fuehrer“ – und vergleichsweise unspezifischer Zeilen: „After the Bourbon“; „After the Crisis“. Greens Kunst ist voller seltsamer Poesie, fließt zwischen Innen und Außen, kommt oft sehr sperrig daher und profitiert von einem definierten Ort. Das ist jetzt in Berlin nicht durchweg gegeben.