Auf halbmast
Konnte das überraschen? Die bildenden Künstler reagierten kaum oder gar nicht auf 9/11. Dafür waren die filmischen und fotografischen Aufnahmen von den ins World Trade Center stürzenden Flugzeugen zu stark, als dass eigene Bilderfindungen heranreichen konnten. Das meinte der Komponist Karlheinz Stockhausen letztlich auch, als er kurz nach den Anschlägen in einem Radiointerview erklärte, das Attentat sei „das größte Kunstwerk, was es je gegeben hat“.
Auch wenn seine Aussage grob missverständlich war und als vollkommen unempathisch empfunden wurde, lieferte er doch bereits die Erklärung, warum eine anschließende künstlerische Auseinandersetzung so gut wie ausblieb.
Trotzdem tasteten sich einige prominente Künstler mit den Mitteln Verschleierung an das schwierige Thema heran. Erwartungen richteten sich vor allem an Luc Tuymans, ein Spezialist für die Darstellung von Traumata, gewalttätiger Geschichte in Form subtiler Porträts insbesondere nationalsozialistischer Täter.
Der belgische Maler unterlief sie geschickt. Auf der Documenta 11, ein Jahr nach dem Attentat, präsentierte Tuymans ein monumentales Stillleben, auf dem ein gewaltiger Krug mit Früchten zu sehen war. Einerseits stellte das Motiv eine Anleihe bei Cézanne dar, andererseits spielte es von den Proportionen, der schrägen Untersicht her auf das World Trade Center und den Terroranschlag an. Tuymans erklärte ihn als undarstellbar.
Auch Gerhard Richter versuchte sich vier Jahre nach 9/11 daran. In einem Spiegel-Interview sprach er zunächst von einem „missglückten Versuch“, „falscher Richtung“, einem Rudiment, das er zerstören oder übermalen wollte. Am Ende des Prozesses, nachdem er die Farbe abgekratzt hatte, entstand ein Gemälde, das er gelten ließ: „September“. Darauf sind vage die beiden Zwillingstürme zu erkennen, der Himmel ist matt, blaugraue Schlieren legen sich vor die Szenerie.
Die Verwischung schafft einen Grad der Abstraktion, durch den Abstand gehalten wird vom konkreten Ereignis. Dennoch lässt sich dieses Bild der Trauer besser identifizieren als bei Richters aktuell in der Alten Nationalgalerie gezeigten „Birkenau“-Zyklus. Die Fotos vom Konzentrationslager, die dafür als Ausgangspunkt dienten, liegen komplett unter Farbschichten verborgen.
Das Bild prägte sich Bronson tief ein
2005 schuf auch der Amerikaner Robert Longo sein großes Grafit-Triptychon „The Haunting“, auf dem das Flugzeug aus zwei verschiedenen Perspektiven von links und rechts auf die Twintowers zufliegt. Es ist der Augenblick wenige Sekunden vor dem Einschlag, von dem man sich im Moment der Betrachtung, noch zwanzig Jahre später intuitiv und wider besseres Wissen wünscht, dass er nicht eintritt.
Genau darauf spielt der Maler an, doch das Schicksal ist unabwendbar. Der schwarze Mittelteil des Triptychon demonstriert die Machtlosigkeit, das Nichts, den Tod, der folgte. Die dynamische Bewegung der Flugzeuge auf das Gebäude wiederholt sich als Schleife im Kopf. Der innere Film stockt bei der Vorstellung des Aufpralls.
Zu einem vermeintlich gegenteiligen Resultat kommt AA Bronson mit seinem Zyklus „White Flag“, der 2015 entstand. Der Flug des kanadischen Künstlers von Toronto nach New York war am 11. September kurz vor dem Attentat gestrichen worden. Als er Tage später in seine Wohnung in Manhattan zurückkehren konnte, bedeckte alles eine dicke Kreideschicht aus Glas, Beton, Papier und Asbest. Überall flatterte der „Star Spangled Banner“. Das Bild prägte sich Bronson tief ein.
Sein Zyklus greift das Motiv 14 Jahre später wieder auf. „White Flag“ bezieht sich sowohl auf Bronsons frühere monochrome Gemälde zur Krankheit Aids, der so viele seiner Künstlerfreunde zum Opfer gefallen waren, als auch auf Jasper Johns’ Fahnenbilder, die das Heroische allerdings leugneten. Bei Bronson steht kein Denkmalsturz dahinter, sondern nur noch die Tragödie. „White Flag“ ist zugleich der Name einer Irissorte, die auf Friedhöfen wächst.