„Wir haben enorm viel Potenzial und können viel erreichen“

Saša Kalajdzic, vor welchem Spieler hatten Sie als Neuling in der österreichischen Nationalmannschaft größeren Respekt: Vor David Alaba, weil er mit den Bayern alles gewonnen hat, oder vor Marko Arnautovic, weil er Marko Arnautovic ist?
Respekt habe ich vor beiden. Aber ich gebe zu, bei Marko hatte ich ein bisschen mehr Schiss.

Sie lachen.
Weil Schiss eigentlich das falsche Wort ist. Ich habe mich einfach gefragt, wie es mit ihm sein würde beim ersten Treffen.

Und?
Es kam unerwartet und war unterm Strich ziemlich lustig. Es war an einem Abend im November, bei meiner zweiten Länderspielreise – bei meiner ersten im Oktober war er leider nicht dabei, weil es mit den Corona-Auflagen für ihn schwierig war, er spielt ja in Shanghai. Jedenfalls bin ich an diesem Abend zu unseren Physiotherapeuten gegangen, weil ich was naschen wollte, die haben in ihren Räumen immer ein paar Snacks, Müsli-Riegel, solche Sachen. Ich bin also gemütlich bei denen hineinspaziert – und dann lag er da plötzlich auf der Massage-Bank. Ich habe mich fast ein bisschen erschrocken und nur schnell gesagt: „Hallo, ich bin’s, der Saša“. Er war sehr nett, ganz locker, hat zurückgegrüßt, kurz „Servus“ gesagt. Ich habe ihn bisher zwar nur bei dieser einen Reise erlebt, aber schon da habe ich gemerkt, dass er ein cooler Typ ist, mit einer besonderen Ausstrahlung, einer natürlichen Autorität. Allgemein waren alle gestandenen Spieler sehr korrekt zu mir, also auch David Alaba, sie haben mir den Start wirklich erleichtert. Wobei ich in dem Zusammenhang auch etwas klarstellen will: Ich bin zwar neu in der Nationalmannschaft, kam aber nicht als völliger No Name an. Sondern als Spieler vom VfB Stuttgart, als Stürmer, der in der Bundesliga seine Tore gemacht hat. Insofern musste ich mich da auch nicht komplett wegducken.

Viele Ihrer Kollegen spielen wie Sie auch in der Bundesliga. Sitzen Sie abends im Teamhotel manchmal zusammen und erzählen sich gegenseitig, wo in Deutschland es das mieseste Schnitzel gibt oder wie wenig charmant die Sprache nördlich der Alpen klingt?
Ach was. Wir reden eher über die Liga, wir spielen ja häufig gegeneinander. Vor einem Länderspiel hatten wir mit dem VfB zum Beispiel gegen Hoffenheim gespielt, ich schoss ein Tor. Und dann saßen mir ein paar Tage später beim Mittagessen plötzlich Florian Grillitsch, Stefan Posch und Christoph Baumgartner direkt gegenüber. Das war zumindest für mich sehr lustig. Und was die Sprache angeht, läuft es eh ganz anders.

[Fußball-Europameisterschaft: Wissen, wer wann gegen wen spielt. Mit unserem EM-Spielplan 2021 als PDF zum Ausdrucken.]

Inwiefern?
Ich haue, wenn ich in Stuttgart in der Kabine sitze, ab und zu mit Absicht ein paar Wiener Phrasen raus. Einfach, damit die Jungs ins Grübeln kommen. Dann sage ich zum Beispiel zu irgendeinem: „Warum häklst’ mich so?“

Und das heißt?
„Willst du mich verarschen?“ Das kann man aber wunderbar einfach so sagen, ohne Anlass.

Hand aufs Herz: Gibt es überhaupt kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich?
Klar gibt es die, das fängt ja schon beim Essen an. Bis ich nach Stuttgart kam, kannte ich keine Maultaschen. Und jetzt weiß ich: Die sind richtig lecker. Wobei es auch ein bisschen deppert von mir wäre, als VfB-Spieler in einem Interview etwas anderes zu sagen. (Lacht.)

Wer ist der deutscheste Deutsche, den Sie kennen?
Fangen wir mal mit dem schwäbischsten Schwaben an, das ist definitiv Meuschi, unser Zeugwart. Wenn der loslegt, verstehe ich nur noch jedes zweite Wort. Und so richtig deutsch? Kempfi, unser Kapitän (Marc Oliver Kempf, Anm. d.Red.).

Wieso er?
Ich habe mir die Deutschen früher immer ein bisschen vorgestellt wie die Jugendlichen bei „Fack ju Göhte“, den Film finde ich extrem witzig, da reden alle ein bisschen derber. Und na ja, so redet auch der Kempfi. Wenn er was sagt, muss ich immer lachen. Aber nicht falsch verstehen, ich respektiere ihn extrem, genau wie alle anderen, die ich in meinen zwei Jahren in Deutschland bisher kennenlernen durfte.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen und Ereignisse rund um die Europameisterschaft live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Zurück zur Nationalmannschaft. Am 31. März haben Sie mit Österreich in der WM-Quali zu Hause 0:4 gegen Dänemark verloren. Wie große Sorgen hat Ihnen das bereitet?
Das 0:4 lag mir und uns jedenfalls eine ganze Weile schwer im Magen. Es war extrem ärgerlich, blöd und unnötig. Wir haben ja innerhalb von 15 Minuten vier Tore kassiert. Das tat weh.

Vielleicht war das Erschrecken über die Leistung auch deshalb so groß, weil die österreichische Nationalmannschaft von den Namen her so stark ist wie lange nicht.
Wir haben mit David Alaba einen Champions-League-Sieger dabei, wir haben mit Marcel Sabitzer den Kapitän von RB Leipzig, wir haben Marko Arnautovic mit seiner besonderen Autorität und der internationalen Erfahrung. Und ich könnte jetzt zehn Minuten weitererzählen, was für tolle Fußballer es außerdem noch gibt. Klar sorgt das für eine gewisse Erwartungshaltung. Wir haben eine richtig gute Generation beisammen.

Was ist drin bei der EM?
Alles und nichts. Wenn wir spielen wie gegen Dänemark, wird’s übel. Aber wir haben eben enorm viel Potential, und wenn wir das in gute Leistungen umwandeln, können wir viel erreichen.

Saša Kalajdzic im ersten EM-Spiel gegen Nordmazedonien mit klaren Größenvorteilen – wie eigentlich immer.Foto: IMAGO / Sven Simon

Mit zwei Metern sind Sie der zweitlängste Spieler der EM. Wann sind Sie eigentlich so groß geworden? Schon als Kind oder erst später?
Ich war schon immer eher groß, richtig in die Höhe geschossen bin ich aber erst als 16-Jähriger.

Hat das zu Problemen geführt?
Ich hatte eine Weile ganz schön zu kämpfen. Zunächst mal mit kleineren Wehwehchen und Verletzungen, nichts Gravierendes zwar, aber mal hat die Ferse ein paar Wochen geschmerzt, mal die Hüfte. Und koordinativ war es am Anfang echt übel, ich bin zum Beispiel extrem komisch gerannt. Ich glaube, es sieht bis heute nicht ganz so geschmeidig aus, aber im Vergleich zu früher ist es echt nicht mehr schlimm. Außerdem war es damals schwer, mein technisches Level zu halten. Ich war in der Jugend Sechser und technisch echt nicht verkehrt. Plötzlich waren meine Füße viel größer und so weit weg, daran musste ich mich erst mal gewöhnen.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Einerseits haben Sie nie eine größere Fußballakademie besucht, andererseits haben Sie bereits als 16-Jähriger bei den Erwachsenen von Donaufeld in der drittklassigen Regionalliga debütiert. Waren Sie ein Überflieger oder nicht?
Überflieger auf keinen Fall, zum einen war ich als Jugendlicher wirklich nicht stark genug für die Jugendmannschaften der großen Wiener Vereine, zum anderen hatte ich als 16-Jähriger auch nur genau zwei Kurzeinsätze in der Regionalliga. Viel gespielt habe ich erst im Jahr danach, da waren wir aber schon wieder abgestiegen. Mir wurde in diesem Alter allerdings eine Sache eingebläut: Es gibt Jungs, die im Jugendfußball alles zerreißen – die dann bei den Erwachsenen aber kein Land mehr sehen. Und genauso kann es auch andersrum funktionieren. Das hat mir Mut gemacht.

Wie lief das damals ab in der Kabine? Wenn die anderen über ihre Kinder sprachen, haben Sie dann von Ihren Mathehausaufgaben erzählt?
Ich habe erstmal die Goschn gehalten. Und gelernt, was es heißt, Respekt zu zeigen. Wenn ich nach dem Training nicht beim Abbau geholfen habe, wurde geschimpft. Wenn die Schuhe nicht gut geputzt waren, wurde geschimpft. Wenn ich irgendwelche Kleidungsstücke vergessen hatte, wurde geschimpft. Das war nie böse oder unter der Gürtellinie, ich wurde nicht gehänselt oder so, im Gegenteil, das waren tolle Menschen, die mir auf meinem Weg extrem geholfen haben. Es war genau richtig so. Lassen Sie uns noch ein paar Jahre zurückgehen und über Ihre Kindheit reden. Wie sind Sie aufgewachsen? Behütet?
Ich komme aus einem der schönsten Viertel Wiens, dem 22. Gemeindebezirk, ganz in der Nähe der Donau. Und bin weder in besonders armen noch in besonders reichen Verhältnissen aufgewachsen. Ich hatte auf jeden Fall eine wunderschöne Kindheit, mir hat es an nichts gefehlt. Das heißt nicht, dass ich verwöhnt wurde, meine Eltern haben mir nicht dauernd die neusten Markenklamotten gekauft oder so. Aber was ich zum Leben brauchte, das hatte ich.

Es heißt, Sie hätten als Kind im Sommer manchmal auf dem Bauernhof Ihrer Großeltern in Bosnien geschuftet.
Die Geschichte ist nicht ganz so spektakulär. Die Eltern meiner Mutter wohnen in den bosnischen Bergen, in einem Dorf, in dem es viele Bauern und dementsprechend viele Kühe, Schweine und andere Tiere gibt. Wenn ich früher zu Besuch war, habe ich mit den anderen Kindern gespielt. Wir sind durchs Dorf getobt, und wenn uns dann mal einer der Bauern gefragt hat, ob wir ihm helfen wollen, dann haben wir natürlich nicht Nein gesagt. So habe ich hin und wieder eine Kuh gemolken. Aber eben einfach nur zum Spaß, um es mal auszuprobieren. Ich war damals aber nicht, wie manche vielleicht glauben, wochenlang am Stück draußen auf den Feldern und habe geackert.

Könnten Sie heute noch eine Kuh melken?
Puh, das ist lange her, ich hätte auf jeden Fall Angst, dass die Kuh mich tritt. Aber irgendwie würde ich es schon hinbekommen.