Was lange währt, soll endlich gut werden: Die Hoffnungen der Nationalelf ruhen auf Ilkay Gündogan

Robin Gosens ist in der vergangenen Woche ein besonderer Empfang bei der Nationalmannschaft bereitet worden. Bei seiner Ankunft in Frankfurt am Main gab es Applaus von den Kollegen. Als Anerkennung für seine Teilnahme am Finale der Champions League. Aber womöglich ist dem Linksverteidiger von Inter Mailand selbst bei dieser Gelegenheit noch einmal schmerzlich vor Augen geführt worden, was für eine unglaubliche Chance er mit Inter verpasst hat. Oder besser: vor Ohren

Denn bei Ilkay Gündogan, mit Manchester City sein Widersacher im Finale, ist der Applaus der Nationalmannschaftskollegen noch ein bisschen stärker und lauter ausgefallen – weil er eben nicht wie Robin Gosens als unterlegener Finalist angereist war, sondern als Champions-League- und Triple-Sieger. Als „ein bisschen unangenehm“ hat Gündogan selbst das alles empfunden. Nicht die vielen Titel natürlich, sondern den Trubel um seine Person.

Applaus und Anerkennung sollte Gündogan mit seinen 32 Jahren eigentlich gewohnt sein. Mehr als ein Jahrzehnt spielt er inzwischen auf dem höchsten internationalen Niveau Fußball, allein sieben Jahre davon bei Manchester City. Aber Applaus und Anerkennung sind für ihn bei der Nationalmannschaft offenbar immer noch gewöhnungsbedürftig.

Gündogans Geschichte ist oft erzählt worden, und sie wird natürlich auch in diesen Tagen, unmittelbar nach dem Champions-League-Triumph mit City, wieder erzählt: Gemessen an seinem Talent und an den Titeln, die er mit Borussia Dortmund und ManCity gewonnen hat, ist dem Mittelfeldspieler in der Nationalmannschaft immer nur eine untergeordnete Rolle zugedacht gewesen.

Als Kapitän von Manchester City durfte Gündogan den Siegerpokal der Champions League in Empfang nehmen.
Als Kapitän von Manchester City durfte Gündogan den Siegerpokal der Champions League in Empfang nehmen.
© dpa/Mike Egerton

Fast zwölf Jahre sind seit Gündogans erster Berufung ins DFB-Team vergangen. Von den 153 Länderspielen seitdem hat er gerade 66 bestritten, und bei großen Turnieren ist er noch kein einziges Mal in einem K.-o.-Spiel zum Einsatz gekommen.

2014 (bei der WM) und 2016 (bei der EM), als die Deutschen noch Titel holten oder ihnen zumindest sehr nahegekommen sind, da fehlte Gündogan verletzt; bei den Turnieren seitdem, die mehr oder weniger enttäuschend endeten, war Gündogan zwar dabei, aber aus unterschiedlichen Gründen kein entscheidender Faktor.

Seltsam das alles. Ilkay Gündogan ist der Kapitän des aktuellen Champions-League-Siegers. Der FC Barcelona buhlt aktuell um den bald 33-Jährigen; sein Ex-Klub Borussia Dortmund hat es – erfolglos – ebenfalls getan. Und natürlich will auch Manchester City den Mittelfeldspieler, dessen Vertrag am Saisonende ausläuft, gerne halten.

„Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie gut der Junge ist. Ilkay war eine der besten Verpflichtungen von City jemals“, hat Manchesters Trainer Pep Guardiola einmal gesagt und das anders als bei den angeblichen Top-top-top-Spielern Sebastian Rode oder Daniel Baier tatsächlich ernst gemeint.

Ilkay kann in jeder Mannschaft spielen. Er hat hohe Qualität, ist ein sehr intelligenter Spieler ist und – für mich sehr wichtig – ein absolut feiner Mensch.

Bundestrainer Hansi Flick über Ilkay Gündogan

Wer auf einen Spieler mit Gündogans Reputation und Klasse freiwillig verzichtet, kann eigentlich keine allzu großen Sorgen haben. Für Bundestrainer Hansi Flick lässt sich das derzeit nicht behaupten; die Stimmung rund um die Nationalmannschaft ist ein wenig gedrückt, um es vorsichtig auszudrücken.

Doch als Flick vorige Woche zu Gündogan befragt wurde, antwortete er: „Ich weiß, dass alle von mir hören wollen: Ilkay spielt jetzt immer.“ Genau das sagte er anschließend nicht. Stattdessen hielt Flick ungefragt eine Verteidigungsrede auf Joshua Kimmich, der mit Gündogan im Mittelfeld der Nationalmannschaft um die Führungsrolle konkurriert.

Kimmich ist fünf Jahre jünger, er hat fast fünf Jahre später in der Nationalmannschaft debütiert – und ist Gündogan bei der Zahl der Länderspiele (78 zu 66) trotzdem längst enteilt. Deshalb wird der Münchner die Nationalmannschaft an diesem Dienstag gegen Kolumbien als Kapitän anführen (20.45 Uhr, live bei RTL). Und nicht Ilkay Gündogan, der erstmals seit der verkorksten WM in Katar wieder für das deutsche Team auflaufen wird.

Der gebürtige Gelsenkirchener wird in seiner Heimatstadt zumindest in der Startelf stehen, und natürlich ruhen die Hoffnungen auf einen versöhnlichen Saisonabschluss der zuletzt glück- und erfolglosen Nationalmannschaft jetzt vor allem auf ihm. Gündogan sei ein Spieler, „der in jeder Mannschaft spielen kann“, sagt Bundestrainer Flick, „der hohe Qualität hat, der auch ein sehr intelligenter Spieler ist und – für mich sehr wichtig – ein absolut feiner Mensch“.

Gündogan gibt sich auf dem Feld (und auch daneben) nicht besonders extrovertiert. Er ist ein eher ruhiger Vertreter und wird trotzdem als Führungsfigur anerkannt. „Er ist ein Leader, vielleicht auf eine andere Art“, sagt Flick. Gündogans Autorität beruht auf der Fähigkeit seiner Füße – und genau diese Fähigkeiten sind jetzt in der Nationalmannschaft gefragt, mehr denn je vielleicht sogar.

„Ich glaube, dass ich viel positive Energie einbringen kann, auch eine gewisse Ruhe“, hat Ilkay Gündogan am Tag vor dem Spiel in Gelsenkirchen gesagt. „Aber wir dürfen jetzt nicht in einen Aktionismus verfallen.“ Als Heilsbringer „sehe ich mich, ehrlich gesagt, nicht“. Das würde, ehrlich gesagt, auch nicht zu ihm passen.