Vom richtigen Maß : Die Transmediale schaut in diesem Jahr auf das Phänomen der Skalierung

Vom Skalieren, der Wirkmacht der Vermessung und was das digitale Heran- und Herauszoomen mit unserer Wahrnehmung, der Realität und unseren Beziehungen macht, damit beschäftigt sich die heute startende Transmediale. „a model, a map, a fiction“ lautet das Motto des Festivals, das nun schon zum 36. Mal stattfindet. In technologischer Hinsicht ist das eine Ewigkeit.

Die Transmediale hat sich seit dem „VideoFilmFest“, als das sie 1988 begann, vom nerdigen Netzkunst-Event mit blinkenden Gifs und rotierende Pixeln immer wieder gewandelt, wandeln müssen, um mit der rasenden Entwicklung des Digitalen und den damit zusammenhängenden Fragen Schritt zu halten.

Von der Netzkunst zur Gesellschaftsdebatte

Die künstlerische Leiterin der Transmediale, die irische Kuratorin, Wissenschaftlerin, Interaction-Designerin Nora O Murchú, hat den Festivalzeitraum in ihrem ersten Jahr 2021 coronabedingt auf ein ganzes Jahr ausgedehnt. Sie hat Ausstellungen, Workshops und ein Sommercamp organisiert, ein größeres Residenzprogramm aufgesetzt, um nachhaltiger mit Künstler:innen zu arbeiten. Die Abkehr vom schnelllebigen Festivalbetrieb war O Murchú ein Anliegen, nicht nur wegen der Pandemie.

Die Künstler:innen, die sie einlädt, das sieht man erneut an den Beiträgen in diesem Jahr, werfen einen feministischeren, intersektionalen, postkolonialen Blick auf die digitale Welt. Für die neue Ausgabe hat O Murchú  den Festivalzeitraum aber doch wieder auf die üblichen fünf Tage zusammengeschnurrt. „Es ist jetzt vor allem wichtig, die Community wieder zusammenzubringen“, sagt sie.

Nur die Ausstellung dauert mehrere Wochen und ist dieses Mal ein Zusammenspiel aus nur zwei großen Beiträgen von Philosophie-Researcher Alan Butler und der Designerin und Forscherin Simone C Niquille, die beide schon bei vorherigen Ausgaben der Transmediale dabei waren. Die Transmediale, das wichtigste Digitalfestival weltweit, skaliert auf einen menschlichen Maßstab, wie es scheint. Und gibt damit einen neuen Ton an.

Die Community soll endlich wieder zusammenkommen

Im Laufe der Jahre haben philosophische Fragen bei der Transmediale die Oberhand über künstlerische, ästhetische, technische Fragen gewonnen. 2019 zeigte O Murchús Vorgänger, der langjährige Leiter Kristoffer Gansing, nicht mal mehr eine Ausstellung mit „Medienkunst“, sondern konzentrierte sich vollends auf Debattenbeiträge und Workshops. Zeitgenössische Kunst ist Medienkunst, die findet mittlerweile in etlichen Institutionen statt.

Die Installation „Host B trying to reach its audience“ von Neïl Beloufa quatscht mit dem Publikum.
Die Installation „Host B trying to reach its audience“ von Neïl Beloufa quatscht mit dem Publikum.
© Silke Briel

Was der digitalen Entwicklung hinterherhinkt ist der Mensch, sein analoger Körper, sein analoger Geist, die Psyche, die man nicht mal eben neu formatieren kann wie eine Festplatte; Institutionen, Gesetze und Politik, die sich nicht schnell genug verändern. Dass man online die ganze Welt in jedem beliebigen Maßstab sehen kann, heißt nicht, dass wir die Informationen auch verarbeiten können. Noch ist der digitale Kapitalismus stärker als der Traum von der dezentralisierten Welt, ohne Institutionen, Banken, Nationalstaaten. und Ausbeutung

Die Transmediale war die ganzen letzten Jahre auch ein Ort, an dem Medientheorie und Medienkunst gegen den Strich gebürstet wurden. Widerstand, Kritik, Dissens und Verwirrung, ein selbstbestimmter Umgang mit Technik und Non-Konformität sind wichtige Themen jeder Transmediale oder wie im vergangenen Jahr: Verweigerung als Strategie im digitalen Leben.

Nora O Murchú möchte, obwohl sie selbst aus dem akademischen Umfeld kommt und an der Universität lehrt, die praktische Seite des Diskurses und der Wissensgenerierung betonen. Der Switch zwischen dem Digitalen und dem Analogen ist ihr wichtig, die nachhaltige Verbindung zu Künstler:innen, zu anderen Institutionen und zur Stadt.

Berlin kennt jeder aus dem Netz und den sozialen Medien – das echte Berlin ist nochmal eine andere Nummer. Das hat auch Neuberlinerin Nora O Murchú erlebt. Um das wichtigste digitale Prinzip, die Vernetzung, nochmal anders greifbar zu machen, hat sie einen Teil der Transmediale in die Stadt verlagert.

Das Tempelhofer Feld, die Berliner Spätis, die Online-Plattform ebay-Kleinanzeigen und die U-Bahn sind Orte, die den Mikrorhythmus und die Makrodynamik der Stadt prägen – die Möglichkeiten einer riesigen freien Fläche, Einkaufen und Einkehren die ganze Nacht, das Tauschen und Weitergeben von Sachen. An den genannten Orten wird es künstlerische Interventionen von Transmediale-Teilnehmer:innen wie Nora al-Badri oder Joana Moll geben. Soziale Netzwerke werden aus einer anderen Perspektive betrachtet. Auch das ist eine Frage des Maßstabs.

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