„The Mastermind“ im Kino: Die Revolution findet im Fernsehen statt
James Blaine „J.B.“ Mooney (Josh O’Connor) hat eine Körpersprache, als würde er das Gewicht der Welt stemmen. Immer leicht geduckt, hängende Schultern, und ein schlitzohrig-ahnungsloser Gesichtsausdruck, der den Eindruck erweckt, als wüsste er jederzeit, aus einer misslichen Situation einen Vorteil zu schlagen. Das Gegenteil ist der Fall.
Die Weltlage läuft in Kelly Reichardts in gedämpften Herbstfarben gefilmter Tragikomödie „The Mastermind“ bloß als Hintergrundrauschen mit, im Fernsehen, im Radio oder beiläufig als Zeitungsschlagzeile. Amerika führt Krieg in Vietnam und Kambodscha, auf den Straßen regt sich Protest. Doch J.B. lebt in seiner eigenen Wirklichkeit. Für ihn findet die Revolution nur im Fernsehen statt.
Klare Perspektiven auf die amerikanische Gegenwart
Nicht ganz klar bleibt bis zum Schluss, ob sich der Titel von Reichardts neuem Film auf die Eigenwahrnehmung ihres Antihelden bezieht, ob in der Beschreibung eine wohlwollende Ironie durchscheint – oder ob die beste Chronistin eines Amerikas an der gesellschaftlichen Peripherie mit dem Titel ihre Skepsis gegenüber einem ganzen Filmgenre zum Ausdruck bringen will.
Das Heist-Movie ist das Genre der Gentlemen-Gauner, Superhirne und minutiös geplanter Diebstähle. Doch ein Mastermind ist dieser J.B. Mooney eben nicht, auch wenn er seinen Plan für unfehlbar hält.
In der Eröffnungssequenz streift er durch ein Museum in der Provinz von Neu-England, kein Zentrum der modernen Kunst, nicht mal der regionalen. Hier dösen die Wächter vor sich hin, während das Publikum vor den ungeschützten Gemälden verweilt.
J.B. lässt testweise eine kleine Statue aus einer Glasvitrine in seiner Tasche verschwinden, unbemerkt. Der Bruch scheint eine sichere Sache. Erst später kommen einem seiner Komplizen leise Zweifel, ob die Sache wirklich gut durchdacht ist. Aber da ist es auch schon zu spät.
Reichardts Figuren sind verlorene Gestalten in diesem großen amerikanischen Projekt, aber nur selten wählt sie für ihre Geschichten ein historisches Setting. Wenn sie es tut, wie in ihrem Western „Meek’s Cutoff“, dann mit einer klaren Perspektive auf die Gegenwart.
Der ehemalige Kunstgeschichtsstudent und erfolglose Schreiner J.B. hat irgendwann aufgegeben, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Von seinem Vater (Bill Camp), einem pensionierten Richter, muss er sich vorhalten lassen, sein (möglicherweise nicht vorhandenes) Talent zu verschwenden. Von seiner Mutter (Hope Davis) leiht er sich Geld – vorgeblich für einen neuen Job, tatsächlich aber, um seinen Raub zu finanzieren.
Josh O’Connor, zu Ruhm gelangt als Prince Charles in „The Crown“ und als narzisstisches Tennis-As in „Challengers“, ist momentan einer der gefragtesten Schauspieler für diesen Typus des äußerlich vertrauensvoll erscheinenden Charismatikers, der seinen Kredit dann aber sehr schnell verspielt. Im Fall von J.B. ist das spätestens in dem Moment der Fall, in dem er und seine Crew nicht minder zurechnungsfähiger Kumpel den Diebstahl durchziehen.
Sie tragen, mit Strumpfmasken verkleidet, ganz unsuperhirnig die Gemälde am helllichten Tag aus dem Museum, während der Vierte im Fluchtwagen vor der Tür wartet. Der Suspense-Höhepunkt eines jeden Einbruchsfilms ist bei Reichardt die groteske Slapstick-Performance von ein paar Vollhonks.
An diesem Punkt endet in „The Mastermind“ auch schon das Genre, mit dem der Titel spielt – ohne gleichzeitig einem anderen den Weg zu ebnen. Die Polizei kommt logischerweise schnell dahinter, wer die Tat begangen hat.
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