Sartre im Berliner Ensemble: Antifaschismus am seidenen Unterwäschefaden
Der idealistische Jungkommunist Hugo kann gar nicht fassen, was sein Genosse Louis ihm da gerade erzählt: Hoederer, ein hoher Parteifunktionär, wolle mit dem politischen Feind koalieren! Ungläubig schüttelt Paul Zichner in der Rolle Hugos den Kopf, tritt in seinem mausgrauen Outfit aufgeregt von einem Bein aufs andere und beharrt energisch gestikulierend darauf, dass Louis Witze macht.
Das tut der – ein Apparatschik, den Gerrit Jansen als ausdrücklichen Antipathieträger über die Rampe des Berliner Ensembles schnarrt – natürlich mitnichten. Wir schreiben das Jahr 1943 im fiktiven Balkanstaat Illyrien, der mit den faschistischen Deutschen kooperiert. Der bevorstehende Einmarsch der russischen Armee ändert nun die politische Gemengelage.
Parteipolitische Intrigenspiele
Hoederer sieht in einer Allianz mit der Partei des Regenten und dem Block der bürgerlichen Parteien für die Kommunisten Machtoptionen und die Chance, unnötiges Blutvergießen zu vermeiden. Hugo, ein Bürgerspross, der im proletarischen Kämpfermilieu unter Anerkennungsdefiziten leidet, drängt sich förmlich nach dem Parteiauftrag, Hoederer zu liquidieren und heuert zu diesem Zweck bei ihm als Sekretär an.
Reine ideologische Lehre versus Realpolitik: Der Plot ist historisch, das Thema zeitlos in Jean-Paul Sartres Stück „Die schmutzigen Hände“. Eigentlich ein klassischer Fall für die slowenische Regisseurin Mateja Koležnik, deren Inszenierungen stets das Modellhafte aus den Texten herausarbeiten statt sie explizit zu verheutigen. Wenn dieses Konzept funktioniert, gelingen Koležnik tatsächlich Parabeln, auf deren Folie aktuelle Konflikte umso schärfere Konturen bekommen.
Auch diesmal bewegt sich das Personal in einem zeitlosen Setting. Olaf Altmann hat einen überdimensionalen schwarzen Bretterverschlag auf die Bühne gebaut: eine gigantische Blackbox, aus deren Ritzen grelles Licht dringt und die im Rücken der Figuren rotiert, während vorn an der Rampe agitiert, gebarmt und mit der Knarre gefuchtelt wird, was das Zeug hält. Leider bleibt der Sartre’sche Cast dabei – seinem optischen Zeitlos-Look zum Trotz – konzeptionell arg von gestern.
Zum Beispiel Jessica, Hugos Frau, die für dessen Sekretärsjob mit ihm zu Hoederer zieht: Lily Epply muss sich tatsächlich lasziv aus einem großen Koffer herausschälen. Anfangs ragen nur ihre nackten Beine hervor, die sie während des Einstiegsdialogs mit Hugo in denkwürdigen Füßel- und Kreisel-Choreografien bewegt, denen man die harte Arbeit einer heutigen Schauspielerin am antiquierten Erotik-Klischee deutlich anmerkt.
Klar: Die Sartre’schen Kommunisten-Machos, unter denen Genossen-Gattinnen notorisch „die Kleine“ heißen, machen keinen Hehl daraus, dass sie die Frauenfrage noch nicht mal für einen Nebenwiderspruch halten.
Aber der platinblonde Barbie-Verschnitt in Seidenunterwäsche, zu dem Koležnik Jessica macht (und ja, wir sind uns ziemlich sicher, hier keine Ironiesignale übersehen zu haben), bleibt dann doch weit hinter den konzeptionellen Möglichkeiten dieser Figur zurück. Schließlich durchblickt Jessica hinter ihrer Naivchen-Fassade deutlich mehr als ihr Mann und hebelt so das dürftige Vorstellungsvermögen der Genossen vom weiblichen Geschlecht schon bei Sartre subversiv aus.
Ähnlich holzschnittartig fallen auch die anderen Figuren in Koležniks Inzenierung aus: Selbst der als Sympathieträger gezeichnete Hoederer (Marc Oliver Schulze) bleibt komplett im vorhersehbaren Polit-Charismatiker-Rahmen. Hugo schafft es nicht, einen politischen Mord zu begehen; er erschießt Hoederer letztlich aus Eifersucht.
Als er nach zwei Jahren aus dem Gefängnis kommt, hat die Partei ihre Linie geändert und vertritt nun offiziell die Hoederer-Strategie: Alles Themen, an die sich heute durchaus anknüpfen ließe. Aber im Berliner Ensemble bleiben „Die schmutzigen Hände“ wirklich ein randständiger kleiner Politschocker von gestern.