Nicht reden, einfach machen: Leon Goretzka zeigt, wie wertvoll er für das DFB-Team ist
Leon Goretzka bewies einen Sinn für große Inszenierungen. Zumindest lieferte er zur Krönung seines fast schon kitschigen Comebacks auch noch ein treffliches, beinahe melodramatisches Bild. Nachdem er den Ball per Kopf zum 2:1 für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ins Tor der Italiener gewuchtet hatte, lief Goretzka gleich weiter zu Joshua Kimmich, der mit seiner perfekt getretenen Ecke die Vorlage geliefert hatte.
Kimmich hatte die Fäuste geballt. Er wartete, dass sein Kollege ihm an die Brust springen würde, doch dann ging Goretzka vor ihm auf die Knie, als wollte er ihm einen Heiratsantrag machen.
Wie passend. Joshua Kimmich und Leon Goretza, Kollegen beim FC Bayern München und, was ihren Ehrgeiz betrifft, mindestens Brüder im Geiste, galten einmal als das Traumpaar des deutschen Fußballs, als dessen energetisches Kraftzentrum. Aber dann hatte der deutsche Fußball andere Pläne mit den beiden.

© REUTERS/DANIELE MASCOLO
Während Kimmich zum Herrscher der Bayern aufstieg und in der Nationalmannschaft – trotz seiner Positionierung auf der rechten Außenbahn – zur zentralen Figur wurde, war Goretzka plötzlich außen vor. In München ebenso wie im Nationalteam.
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Monate musste Leon Goretzka auf sein 58. Länderspiel warten
Zur Heim-Europameisterschaft vor einem Jahr war er von Bundestrainer Julian Nagelsmann ignoriert worden, weswegen der latente Vorwurf mangelnder Sozialverträglichkeit im Raum stand. Und im Verein wurde dem Mittelfeldspieler auf gar nicht mal so subtile Art zu verstehen gegeben, dass er sich doch bitte einen anderen Arbeitgeber suchen möge, an den die Bayern ihn für eine möglichst lukrative Ablöse verkaufen könnten.
„Es war natürlich nicht einfach. Das wurde ja auch schon hinlänglich berichtet“, sagte Leon Goretzka nun am späten Donnerstagabend, nach dem 2:1-Sieg der Deutschen gegen Italien, über die vermutlich schwierigste Phase seiner Karriere. „Ich habe dazu nicht so viel gesagt, und dabei werde ich es auch belassen. Ich glaube, es kann sich jeder vorstellen, dass es nicht so schön war.“
Ich muss zugeben, bei der Nationalhymne hat es mich mehr gepackt, als ich vorher gedacht habe.
Leon Goretzka über sein Comeback im DFB-Team
Nicht reden, einfach machen: Das war in den vergangenen Monaten seine Maxime. Goretzka, 30 Jahre alt inzwischen, hat nie gejammert, sich nie beschwert, sondern einfach versucht, wieder wichtig zu werden. Das ist ihm gelungen, erst bei den Bayern und jetzt, im Viertelfinal-Hinspiel der Nations League in Italien, auch wieder in der Nationalmannschaft.
Am 9. November hat Goretzka bei den Bayern zum ersten Mal in dieser Saison in der Startelf gestanden, nachdem er in den 15 Pflichtspielen zuvor gerade mal 141 Minuten zum Einsatz gekommen war. Seitdem aber hat er in der Champions League nur einmal nicht von Beginn an gespielt, als er eine Gelbsperre absitzen mussten. Und in der Bundesliga fehlte er ebenfalls nur einmal, als er wegen einer Oberschenkelzerrung unpässlich war.
Die Rückkehr in die Nationalmannschaft war angesichts dieser Entwicklung fast schon unvermeidlich. 16 Monate musste Goretzka warten, ehe er am Donnerstag in Mailand sein 58. Länderspiel bestreiten durfte. „Ich muss zugeben, bei der Nationalhymne hat es mich mehr gepackt, als ich vorher gedacht habe“, sagte er. „Aber so soll es sein.“

© IMAGO/ZUMA Press Wire/IMAGO/Mickael Chavet
Bundestrainer Nagelsmann bot den Münchner bei seinem Comeback gleich von Anfang an auf, zunächst als zweiten Sechser neben Pascal Groß und nach der Pause in einer etwas vorgeschobenen Position, um dem Offensivspiel der Nationalmannschaft beim Stand von 0:1 mehr Wucht zu verpassen.
Der Plan ging auf. Eine Viertelstunde vor Schluss erzielte Goretzka den Siegtreffer für sein Team. „Man traut sich hin und wieder mal, sich vor dem Spiel so ein Szenario auszumalen. Das habe ich tatsächlich diesmal auch gemacht“, sagte er. „Das ist – das muss ich zugeben – eine ganz runde Geschichte.“
Viel Lob vom Bundestrainer
Als wäre er Pep Guardiola höchstpersönlich, bescheinigte Julian Nagelsmann dem Rückkehrer Goretzka, „ein Top-Top-Spiel“ bestritten zu haben; er ernannte ihn gar zum „MVP des Spiels“, zum wertvollsten Mann auf dem Platz also. „Er hat den größten Einfluss gehabt – hinten und vorne“, sagte der Bundestrainer. „Ich bin sehr froh für ihn, dass er so gut zurückgekommen ist.“
Der Münchner erzielte nicht nur den Siegtreffer, er war auch sonst der gefährlichste Spieler seines Teams. An der Hälfte der insgesamt zehn Torschüsse der Deutschen war Goretzka beteiligt: Vier gab er selbst ab, einen bereitete er vor. Und auch seine anderen Werte waren überdurchschnittlich, seine Passquote (96 Prozent) und seine Zweikampfbilanz (67 Prozent).
Goretzka hat jetzt auch in der Nationalmannschaft wieder eine Perspektive – zumal der Bundestrainer nach dem Karriereende von Toni Kroos und Ilkay Gündogan im vergangenen Sommer immer noch nach der idealen Besetzung fürs zentrale Mittelfeld sucht. „Er hat bewiesen, dass es sich lohnt, auch mal Täler zu durchschreiten“, sagte Nagelsmann.
Leon Goretzka bringt eine Eigenschaft mit, die der Bundestrainer bekanntermaßen sehr schätzt: Er kann Widerstände aushalten und erfolgreich gegen sie ankämpfen.