In die Suppe gespuckt: Feminismus, wo man(n) mitmuss
„Was bisher geschah“ – so pflegen Fortsetzungscomics die Handlung vorangegangener Episoden zusammenzufassen; und dies könnte durchaus als gelungener Einstieg für „Boris, das Kartoffelkind“ (Übersetzung Irène Bluche, Rotopol, 164 S., 19 €), den dritten Akt der Dramödie um die Wassernymphe sowie Ex-Königin von Marylène, Aglaé, durchgehen.
Jedoch, wohl tauchen wir erneut in Anne Simons mittlerweile in Frankreich auf vier Bände angewachsene und im Original als „Les Contes du Marylène“ (Die Fabeln von Marylène) betitelte Welt ein – mit einer Kontinuität, wie sie sonst für ausufernden Franchise-Universen als unverzichtbar gilt, hat Simon dann aber recht wenig am Hut.
So erlaubt sich die Autorin erneut Freiheiten, wie und wo es ihr gerade passt; der Überraschungsmoment als Wesenszug von Schönheit. Was dem Vergnügen keinerlei Abbruch bereitet, denn jede Fabel ist für sich selbst stehend lesbar.
Une Pomme (De Terre) Et Une Femme
Zudem es in der Buchklappe am Buchende, ergänzend zur Dramatis Personæ zu Beginn, dann noch eine Zeittafel obendrauf gibt. Die verweist bereits auf den nachfolgenden und noch zu übersetzenden Band „Gousse & Gigot“, dabei einen Blick in die Ära vor Aglaé verheißend, und die angedachte Zusammenfassung am Anfang überflüssig machend.
Nun denn, im Hier und Jetzt des vorliegenden Comics jedenfalls ruiniert der tyrannische Sohn Aglaés, Boris, mit Hilfe einer kampferprobten Armee aus überdimensionalen Pommes Frites das ehemalige König*innenreich.
Wieder einmal schöpft Simon bei der Fortschreibung ihrer royalen Saga konzeptuell aus Beatles-Quellen: Feinem Geschmeide gleich, durchwirken Texte und Personal des Songmaterials der Fab Four die Erzählung – genannt seien nur „Lovely Rita“ oder „Being for the Benefit of Mr. Kite!“ (Wohlsein!) – sodass „Yellow-Submarine“-Art-Director Heinz Edelmann im grafischen Design diverser Figuren zwangsläufig ansichtig werden muss.
Zur Geschmacksverstärkung ihrer Nouvelle Cuisine pfeffert die Dessinatrice extraordinaire das Soufflé mit verruchtem Kapitalismus, dabei noch Anklänge an Bondage-Sex wie Eiweiß unterhebend.
Sex und Geld, das zeigt der weitere Verlauf des Comics, liegen also nah beieinander, und deren Bett ist ebenso schnell bereitet wie jenes, in dem Kartoffelkönig Boris und die Oberbefehlshaberin der Pommes-Frites-Armee, Sabine, zusammen gekommen sind.
Mit lasziver Note zu kantiger Konsumkritik gereicht, mundet Simons Stand-Gericht nämlich gerade dann am vorzüglichsten, wenn das Lachen auf Grund zugesetzter Bitterstoffe mal wieder im Hals stecken bleiben will.
Und vielleicht ist die Gang-Art des „kann gar nicht heiß und scharf genug serviert werden“ in dieser Welt, deren verlässlich steigende Temperaturen nicht nur hitzigen Debatten geschuldet sind, eben angemessen.
Wie die Gier und der existenzielle Druck, sei es durch die eigene, als ausgeliefert sein empfundene Existenz oder eine zu finanzierende Alkoholsucht, die stumpfes Tagewerk erst erträglich werden lässt – weshalb Derivate aus bitterem Hopfen wohl die bezahlbarste aller leicht verfügbaren Drogen darstellen; nur muss halt stetig ein Pegel gewahrt werden, wen interessiert da der Meeresspiegel?
Sohn der Angst
Flugs kommt auch Boris, das Kartoffelkind, auf diesen Trichter, dessen tyrannische Ader bereits im Vorgängerwerk „Die Kaiserin Cixtite“ als am Halse pochend auszumachen war, und weiß ihn zum eigenen Vorteil nebst Unterwerfung des Landes Marylène zu nutzen. Denn indem er Genussmittel in Massenproduktion durch das diese verkonsumierende Proletariat herstellen lässt und so genial als Zucht- und Ordnungsmittel einzusetzen weiß, buchstabiert er Lohnabhängigkeit als Herrschafts- und Geschmacksstabilisator mit ausgeklügelter Perfidität durch.
Zur Anlehnung an die anthropomorphe Karikatur in kargem Federstrich nebst Schraffur gesellt sich als grafischer Neuzugang nun das ganzseitige und damit opulente sowie sexuell konnotierte Einleitungsbild. Vor den einzelnen und mit Überschriften versehenen Episoden aus dem Leben und Wirken des Figurenparks fungiert es als überraschende Akzente setzendes Stilmittel.
Auf diesen Splash Pages werden in der Tradition selbiger die ganz großen Fragen wie „Was macht ein Kartoffelkopf zwischen den Beinen der Pommessoldatin?“ gestellt, um zuverlässig nie im anschließen Abschnitt aufgegriffen zu werden – Sie kennen das von unzähligen Superheldencomics-Titelbildern.
Wobei für mich die Szene „No Future for Prinzessinnen“ klar den ein- bis zweideutigen Höhepunkt darstellt: Hier wird das Verhältnis zwischen Bekleidungsstilen, damit verbundenen Erscheinungsbildern plus mit diesen einhergehenden gesellschaftlich zugewiesenen Rollen aufs Komischste durchgenommen, dabei souverän meilenweit von den bemüht-verbissenen Aufklärungspamphleten der Konkurrenz entfernt bleibend, weil frau nicht nur etwas Eigenes zu sagen hat, sondern überdies exzellent fabulieren kann.