Die Zukunft ist jetzt: Spanien ist dank seiner Supertalente wieder reif für Großes

Pablo Martín Páez Gavira, besser bekannt als Gavi, hatte gerade mal 363 Minuten als Profifußballer absolviert, doch Luis Enrique hatte keinerlei Zweifel.

Der spanische Nationaltrainer nominierte den damals erst 17 Jahre jungen Mittelfeldspieler vom FC Barcelona für das Halbfinale der Nations League – 83 Spielminuten später war sich Enrique im Bauch des legendären San-Siro-Stadions sicher. „Gavi wird nicht nur die Zukunft der Selección sein, er ist schon die Gegenwart.“

Dieses erste Länderspiel des andalusischen Wunderkindes ist etwas mehr als ein Jahr her und Enrique hat nicht zu viel versprochen. Gavi ist mittlerweile nicht nur beim FC Barcelona eine feste Größe, sondern auch aus der Nationalmannschaft nicht mehr wegzudenken.

Beim beeindruckenden 7:0 gegen Costa Rica im ersten Gruppenspiel erzielte Gavi bereits seinen dritten Länderspieltreffer – und wurde damit zum jüngsten Torschützen bei einer Weltmeisterschaft seit einem gewissen Edson Arantes do Nascimento bei der WM 1958. Die brasilianische Legende, die die Fußballwelt nur als Pelé kennt, gewann ein paar Tage nach seinem Premierentreffer auch das Turnier.

Auf einen ähnlichen Triumphzug hoffen nun auch Gavi und seine Spanier, die an diesem Sonntag (20 Uhr, ZDF) voller Selbstvertrauen in das zweite Vorrundenspiel gegen Deutschland gehen. „Dieses Ergebnis stärkt uns alle. Aber jetzt kommt Deutschland und das wird kompliziert“, sagte Enrique. Dass Spanien nicht erst seit dem 6:0 von Sevilla im November 2020 so etwas wie der Angstgegner des DFB-Teams ist, hat für ihn keine Bedeutung.

Bei der WM 2010 köpfte Carles Puyol das deutsche Team im Halbfinale aus dem Turnier.
Bei der WM 2010 köpfte Carles Puyol das deutsche Team im Halbfinale aus dem Turnier.
© imago/Shutterstock

Mit einem Durchschnittsalter von 25,6 Jahren ist seine Mannschaft die zweitjüngste der WM hinter den USA, für 20 der 26 Spieler im Kader ist es die erste Weltmeisterschaft. Aber was für Gavi gilt, lässt sich auch auf sein Team ausweiten: Die Zukunft ist jetzt.

Nach den einzigartigen Erfolgen der Goldenen Generation, die zwischen 2008 und 2012 alles abräumte, was es im Weltfußball zu gewinnen gibt, und zu großen Teilen auch mit dem FC Barcelona dominierte, fiel die spanische Nationalmannschaft in ein Loch. Nach und nach beendeten Carles Puyol, Iker Casillas, Xavi, Andrés Iniesta, David Villa und Fernando Torres ihre Karrieren.

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Pässe brachte Spanien gegen Costa Rica an den Mann – WM-Rekord.

Die Mischung aus altgedienten Helden und neuen Emporkömmlingen funktionierte nicht. In Brasilien, Frankreich und Russland war für Spanien dementsprechend früh Schluss. Vielerorts wurde bereits das Ende des Tiki Taka heraufbeschworen. Dass das deutlich verfrüht war, zeigte nicht erst das Spiel gegen Costa Rica am Mittwoch, bei dem Spanien mit mehr als 1000 Pässen den vorherigen WM-Rekord pulverisierte.

Schon die EM im vergangenen Sommer war ein eindeutiger Beweis für den spanischen Aufwärtstrend. Damals waren die Erwartungen an die unerfahrene Mannschaft so gering wie lange nicht, doch die Selección drang bis ins Halbfinale vor und verlor trotz klarer Überlegenheit im Elfmeterschießen gegen den späteren Europameister Italien. Die Fußballwelt verliebte sich dabei in Pedri, der nun mit Gavi das talentierteste Mittelfeldduo der Welt bildet.

In Barcelona haben die beiden Taktgeber mit Xavi den perfekten Lehrmeister und prominente Vergleiche sind dabei kaum zu vermeiden. Was Xavi und Iniesta für die Goldene Generation waren, sollen Gavi und Pedri für die ihre sein. „Die Vergleiche mit Pedri stören mich nicht“, sagte Iniesta, der das Team am Freitag im Trainingszentrum besuchte.

„Er ist erst 18 Jahre alt, er hat aber die Persönlichkeit von einem erfahrenen Spieler. Ich denke, er wird einer der Stars des Weltfußballs werden“, sagte Enrique über Gavi. Bei Barça sollen beide Ausstiegsklauseln in Höhe von einer Milliarde Euro besitzen.

Die Blaugrana sind nicht nur wegen der zwei kommenden Stars das Herzstück der spanischen Mannschaft in Katar. Insgesamt stehen acht Spieler vom FC Barcelona im Kader, fünf davon spielten gegen Costa Rica von Beginn an. Im defensiven Mittelfeld hält Sergio Busquets seinen zwei jungen Teamkollegen den Rücken frei. Neben Jordi Alba ist er das letzte Überbleibsel aus der erfolgreichen Vergangenheit.

Die personellen und spielerischen Überschneidungen zwischen Nationalmannschaft und Barcelona vereinfachen die Arbeit Enriques, insbesondere bei einem Turnier ohne echte Vorbereitung. Fast schon traditionell setzt der Nationaltrainer auf viel Ballsicherheit, lässt aber wie in seiner erfolgreichen Zeit als Barça-Coach deutlich vertikaler spielen.

Das Passspiel soll nie nur Selbstzweck sein, sondern den Gegner unablässig einschnüren und Chancen kreieren. Dabei kommen die Spanier meist ohne einen echten Torjäger aus. Durch die viele Bewegung von Spielern und Ball, ist die gefährliche Zone trotzdem gut besetzt. „Wir haben vielleicht keinen Spieler, der 30 Tore macht, kommen aber in Teamarbeit vor das Tor“, sagte Enrique.

Eine Kritikpunkt war vor dem Turnier die geringe Gefahr aus Mittelfeld und Abwehr. Bei Standards fehlen die Physis und der Instinkt eines Sergio Ramos, den Enrique gar nicht erst nominiert hat. Im Zentrum hat bisher keiner der Spieler einen Drang in den Strafraum, wie ihn früher Iniesta oder Cesc Fàbregas hatten.

Mit nun drei Toren in zwölf Einsätzen ist Gavi allerdings auf einem guten Weg und solange Ferran Torres, Leipzigs Dani Olmo und Joker Alvaro Morata weiter so treffen wie gegen Costa Rica, braucht sich Spanien ohnehin keine Sorgen zu machen. „Ich weiß nicht, ob wir WM-Favorit sind, aber wir haben sicherlich gute Chancen und Lust, etwas Großes zu schaffen“, sagte Torres.

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