Den deutschen Handballern geht die Luft aus

Kaum war er auf dem Feld, suchte Hendrik Wagner auch schon den Weg zum Tor. Kurz angetäuscht, hochgesprungen, ausgeholt und dann zappelte der Ball im Netz. Auf dieses Debüt hatte der Rückraumspieler lange warten müssen. In der 17. Minute in der dritten Hauptrundenpartie der deutschen Handballauswahl bei der EM war die Zeit dann endlich gekommen.

Allerdings hielt das Glücksgefühl nicht lange an. Wenige Angriffe später wandte sich der 24-Jährige an Bundestrainer Alfred Gislason und bat um seine Auswechslung. „Er hat mir gesagt, dass er nicht mehr kann und keine Luft bekommt“, berichtete Gislason. „Danach habe ich ihn nicht noch einmal eingewechselt. Das Risiko ist zu groß.“ Somit verbrachte Wagner die restliche Spielzeit auf der Bank, musste von dort aus mitverfolgen, wie seine Mannschaft mit 21:25 gegen Schweden verlor und somit alle noch verbliebenen Chancen auf ein Halbfinale verspielte. Wie Wagner ging dem deutschen Team am Ende die Luft aus.

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„Das ist normal, wenn man sieben Tage auf dem Zimmer war und sich kaum bewegen konnte“, äußerte sich der gebürtige Heidelberger im Anschluss zu seinem Gesundheitsstatus. Er war der Erste, der aus Deutschland nachgeordert wurde, nachdem bei Julius Kühn eine Infektion mit dem Coronavirus nachgewiesen wurde – und der Zweite, der positiv getestet wurde. Direkt nach Wagners Ankunft schlug der PCR-Test aus, führte sein Weg nicht aufs Handballparkett, sondern ins Hotelzimmer.

„Ich verstehe die Welt nicht mehr“, hatte Wagner erzählt, der bis dahin keinerlei Symptome aufwies. „Das war eine Achterbahn der Gefühle“, sagt er nun. Statt seine ersten Schritte im Kreis der Mannschaft zu machen, lernte er seine Teamkollegen digital kennen, tauschte sich in der extra eingerichteten Chatgruppe mit den anderen Infizierten aus. Rein quantitativ gesehen hatte er da sogar den größeren Zugang, denn seitdem bei Simon Ernst und Patrick Wiencek am Montagmorgen ebenfalls eine Infektion festgestellt wurde, umfasst der Corona-Kreis mit 15 Mitgliedern fast einen ganzen Kader. Drei weitere Betroffene gibt es in der Delegation.

Aus dem ursprünglichen Aufgebot sind nur noch vier Spieler dem Virus bisher entgangen – und zwar Philipp Weber und Johannes Golla, die erst vor kurzem erkrankt waren, sowie Lukas Zerbe und Julian Köster. „Ich gehe mit leichten Bauchschmerzen zu den PCR-Tests“, sagt Köster, der dennoch betont, wie viel Spaß er weiter habe. Genauso drückt es Zerbe aus, der neben Köster und Wagner zu den acht Spielern gehört, die bei der EM ihr Turnier-Debüt gegeben haben. „Ich bin dankbar, diese Erfahrung sammeln zu dürfen. Den Rest versucht man auszublenden”, sagt der Lemgoer Rechtsaußen.

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Es ist bemerkenswert, wie fokussiert das junge Team abseits des Feldes auftritt. Trotz täglicher Hiobsbotschaften, trotz der Unerfahrenheit, trotz immer neuer Herausforderungen. Und wenngleich sportlich noch ein Schritt fehlt, um die Großen schlagen zu können, macht das Hoffnung für künftige Turniere.

Inwieweit dann Hendrik Wagner zu den Mitwirkenden gehört, bleibt abzuwarten. Er freut sich erst einmal darüber, dass er seine Unterbringung verlassen und sich in der Mittagssonne die Beine vertreten darf. Die Hoffnung auf einen Einsatz im letzten Spiel der DHB-Auswahl am Dienstag gegen Russland (18 Uhr/ ZDF) hat er noch nicht aufgegeben. Ein unvergessliches Debüt ist ihm derweil schon jetzt sicher. Carolin Paul