Allein gegen sich im Becken

Am 24. August sollen die Paralympischen Spiele in Tokio beginnen. Mit am Start wird die Berlinerin Maria Tietze sein. Die inzwischen 31-Jährige begann einst mit dem Fußball als Sportlerin und ist nach einem Unfall und einer Amputation am linken Unterschenkel nun Paralympionikin. An dieser Stelle erzählt die Sprinterin und Weitspringerin monatlich über unterschiedliche Wege nach Tokio.

Wenn die Paralympics in Tokio für eine Deutsche zum Heimspiel werden, dann für Maike Naomi Schwarz. Sie wurde 1994 in Yokohama geboren, ihre Eltern unterrichteten damals an einer deutschen Schule. Nun ist sie auf dem Sprung zu ihrer dritten Teilnahme am drittgrößten Sportevent der Welt.

Sie ist Schwimmerin und betreibt damit eine Sportart, die zu den ältesten im Parasport gehört und seit 1960 Teil des paralympischen Wettkampfprogramms ist. Ähnlich wie in der Leichtathletik treten im Schwimmsport Sportler:innen mit beinahe allen Behinderungsarten an und betreiben den selben Sport wie ihre olympischen Kolleg:innen. Im Gegensatz zu ihnen sieht Maike nicht mehr, wohin sie schwimmt, dafür reicht die Sehkraft nicht.

Sie orientiert sich an der Leine rechts und links der Bahn. Mit einem Schmunzeln in der Stimme erzählt sie, dass sie nach 50 Metern „Bahnstrecke“ faktisch wohl eher 52 oder 53 Meter geschwommen ist, weil sie immer wieder mit der Schulter Kontakt zu den Leinen rechts und links der Bahn sucht.

Ihr Blindenführhund Jumper darf nicht mit ins Becken. Entschuldigung, falls dadurch das Bild von acht Schwimmer:innen, die hinter ihren Hunden hersurfen, zerstört wurde. Am Ende der Strecke wartet auf Maike das Wissen, sich mit der bestmöglichen Leistung präsentiert zu haben.

Corona sorgt für Frust – und Lerneffekt

Dazu gab es im vermaledeiten Coronajahr allerdings reichlich wenig Möglichkeiten. Eigentlich war die Quali für Tokio für die Schwimmerin bereits im Dezember 2019 eingetütet. Aber Mitte vorigen Jahres trifft der Verband eine Entscheidung: Die bisher aufgestellten Qualifikationen gelten nicht mehr.
„Es kam für mich schon aus dem Nichts, dass die Quali verfallen ist. Das hat mich schon ein bisschen unruhig gemacht, weil einfach alle Wettkämpfe abgesagt wurden und ich jegliche Chance, mich neu zu qualifizieren, an mir vorbeiziehen sah.“ Doch diese Herausforderung nimmt Schwarz, deren Heimvereine der SC Potsdam und der Potsdamer SV im OSC sind, an.

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Dank Kaderstatus kann sie glücklicherweise quasi ohne Unterbrechung durchtrainieren. Nur im Sommer 2020 müssen einmal vier Wochen ohne Schwimmhalle überbrückt werden. Heute werden die zehn Einheiten im Wasser plus Athletiktraining und drei Kraftblöcke pro Woche von einem Hygienekonzept begleitet. „Das kleinste Übel, wenn man das Privileg hat, trainieren zu dürfen“, sagt Schwarz.

Mit zusätzlichen Stunden bei der Physiotherapie und in Gesprächen mit Sportpsychologen und Ernährungsberatern ist der Kalender auch ohne die geliebten Wettkämpfe gut gefüllt. Sie hat aber für sich auch Positives aus den vergangenen anderthalb Jahren mitgenommen. Die Konzentration auf sich selbst und ihr Training zu legen, und bei allem locker und spontan zu bleiben. Selbstverständlich ist es hart, wenn Wettkämpfe abgesagt werden. Aber sie kann es nicht ändern und freut sich stattdessen über die Wettkämpfe, die stattfinden.
Anders als in der Leichtathletik sind bei Schwimmer:innen keine Prothesen oder andere Hilfsmittel erlaubt. Klassifiziert wird allerdings nicht nach Art der Behinderung, sondern nach Funktion. Das heißt, die Wettkampfklassen orientieren sich an Fähigkeiten und Fertigkeiten der Sportler:innen. Maike Naomi Schwarz startet in der Klasse S12 und konkurriert mit Athletinnen mit einem Sehvermögen von maximal drei Prozent.

Bei der Siegerehrung wird es kompliziert

Und nein, sie betreibt keinen Leistungssport trotz ihrer beinah nicht vorhandenen Sehkraft, sondern weil sie einfach gut sein will und immer gewinnen möchte. Sie lebt für ihren Sport und sieht keinen Unterschied zum olympischen Schwimmen.

Kompliziert wird es erst nach dem Zielanschlag, wenn die Starterin der Klasse S4 am Ende ganz oben auf dem Treppchen steht, obwohl Maike aus der S12 zuerst am Beckenrand war. Wie das gehen kann? Die Auflösung: Im Para-Schwimmsport kommt häufig ein Punktesystem zum Einsatz. Klar, dieses System und die Startklassen können echt verwirrend sein, aber beim besseren Durchblick hilft Jumper nur im Alltag.

Den Weg zum Heimspiel nach Tokio finden die beiden aber bestimmt noch gemeinsam. Denn trotz der vergangenen, chaotischeren 18 Monate ist Maike guter Dinge sich zu qualifizieren. PS: Maike Naomi Schwarz wurde von ihrem Vater zum Parasport gebracht. Wer nun auch seinen Weg starten möchte, schaut mal auf www.parasport.de vorbei.