Der beste Weggefährte für den Kritiker-Kurztripp
Endlich ist das Reisen wieder möglich. Koffer, Taschen und Beutel werden gepackt. In der Serie geht es um unsere liebsten Gepäckstücke. Bisher erschienen: Rollkoffer (30. 6.), Trekkingrucksack (6. 7.), Ikea-Tasche (9. 7.), Kofferbandchaos (13. 7.), Super-Skoda (15. 7.).
Wir können uns beide nicht mehr so genau daran erinnern, wann mein Vater mir dieses besondere Geschenk gemacht hat. Es muss irgendwann Anfang der Neunzigerjahre gewesen sein, als es bei mir losging mit den Dienstreisen zu Klassikfestivals im In- und Ausland. Dort sollte ich, befand mein Vater, die Musik möglichst in knitterfrei transportierten Anzügen genießen können. Und das ging mit dem „Picard Jet 2001“ tatsächlich hervorragend.
Kleidersack, die offizielle Bezeichnung für diese Art von Gepäckstücken, vermag das edle Objekt nur unzureichend zu beschreiben. Kaum vergleichbar ist es mit jenen profanen Nylonhüllen, die man für kurze Transportwege über die Abendgarderobe stülpt. Nein, der „Picard Jet 2001“ ist ein echter Koffer aus schmeichelweichem, schwarzem Nappaleder.
Mit seinen Abmessungen von 60 mal 45 Zentimetern sieht er auf den ersten Blick auch wie ein klassisches Reisegepäckstück aus. Erst wenn man den umlaufenden Reißverschluss geöffnet und ihn zu voller Länge aufgeklappt hat, nimmt er die Form eines Kleidersacks an, in den neben dem Anzug aber auch locker noch die weiteren Reiseutensilien hineinpassen.
Passende Kleiderbügel werden mitgeliefert, mit drehbarem Haken, der sich im Aluminiumrahmen einklinken lässt. Bis zu drei Anzüge sollen im „Picard Jet 2001“ transportierbar sein, mir aber reichte für die berufsbedingten Kritiker-Kurztrips zumeist einer.
Dunkel gewandet und maximal aufgebrezelt
Zu den Bayreuther Festspiele reiste ich mit dem Gehrock, auf den ich so stolz war, auch wenn sich sein dicker Wollstoff als denkbar ungeeignet erwies für die oft tropischen Temperaturen im kaum klimatisierten Saal dort. Er wurde ersetzt durch das elegante Modell von Armani, das ich bei einem Italiengastspiel des Mahler Chamber Orchestra in Ferrara fand, zum halben Preis, im Schlussverkauf.
Nach Paris, wo meine Schwester damals wohnte, nahm ich einmal den nagelneuen beigefarbenen Sommeranzug mit. Der schien mir für eine Rossini-Aufführung im Palais Garnier angemessen – bis ich vor Ort feststellte, dass es sich um eine Spendengala des Freundeskreises der Opéra handelte und ich der Einzige war, der nicht Schwarz trug.
Dunkel gewandet und maximal aufgebrezelt erschien ich dagegen zu einer Premiere im Münchner Nationaltheater: „Mächtig in Schale geworfen“, rief mir der zufällig vorbeikommende Geschäftsführer der Berliner Staatsoper zu, als ich an der Abendkasse anstand, um mein Ticket abzuholen. „Das ist ja wohl eine Frage des Anstands“, zischte daraufhin die Dame hinter mir.
Irgendwann musste ich den Picard schweren Herzens ausmustern
In der Essener Straßenbahn dagegen taxierten mich zwei Kohlekumpel, als ich im bügelglatten Anzug zur Zeche Zollverein fuhr, wo die allererste Ruhrtriennale starten sollte. „Den hat Mutti aber fein gemacht“, sagte der eine, für alle Mitfahrenden deutlich hörbar, zum anderen.
Ja, er ist viel herumgekommen in Deutschland und ganz Europa, mein geliebter „Picard Jet 2001“. Irgendwann aber musste ich ihn dann doch schweren Herzens ausmustern. Denn im Vergleich mit den modernen Koffern auf vier Rädern ist das Eigengewicht des Leders einfach zu hoch – zumindest für Reisende, die nicht auf dienstbare Geister wie Chauffeure, Bahnhofsgepäckträger und Hotelboys zurückgreifen können, sondern ihren Kram selbst schleppen müssen. Wenn sich die Laufwege auf internationalen Flughäfen und in gigantischen Umsteige-U-Bahnhöfen schier endlos hinziehen, hilft dann auch der „Schultergurt mit Antirutschhalfter“ nicht mehr.