Rainer Maria Rilke und die Musik: Wie Licht in den Ohren
Eine tiefe Liebe verbindet den Dichter mit der Welt der Musik, es ist eine schwierige und fruchtbare Beziehung. Rainer Maria Rilke (1875–1926) hat die Musik gefürchtet, wegen ihrer Wirkungsmacht, und er hat sich nach ihr gesehnt, als Befreiung. Erstaunlicherweise wurde Rilke und die Musik nie als wichtiges Thema erkannt. Doch darum dreht sich wesentlich seine Dichtung: um den Ton der Welt, den Klang, des Raums, der uns umgibt, das eigentlich Unsagbare.
Hier gibt es viel zu entdecken im Rilke-Jahr. Am 4. Dezember 2025 wird sein 150. Geburtstag gefeiert, das Deutsche Literaturarchiv Marbach eröffnet eine große Rilke-Ausstellung, und im Dezember 2026, wird der 100. Todestag begangen. Literarische Einflüsse waren nicht so stark. Umso mehr hat ihn die Bildende Kunst inspiriert. Und ebenso wie der Moderne Tanz Rilke beeinflusst und verändert hat, in der Pariser Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Rilke in der französischen Hauptstadt die „Neuen Gedichte“ und den Großstadtroman des „Malte Laurids Brigge“ schreibt, gehört der Dichter der Musik.
Am Ende der Sprache
Rilke ist ein Sprach-Komponist, es existiert kaum Musikalischeres in der deutschsprachigen Dichtung bis dahin. Paul Celan und Ingeborg Bachmann sind noch nicht im Spiel, als Rilke 1918 in einem Gedicht von der Musik sagt, sie sei die „Sprache wo Sprachen enden“ und „hörbare Landschaft“ und „uns entwachsener Herzraum“. Von da, von dieser Sprach-Grenze aus hat Rilke zu seinen Versen hingearbeitet. Musik ist ihm „dies Licht in Ohren“, wie es in einem anderen Gedicht heißt. Man hört bei ihm jetzt auch Töne, die an die Werke seiner revolutionären Zeitgenossen Gertrude Stein und Kurt Schwitters erinnern.
Liebe zu Beethoven
Ein neues Leben beginnt: So hat es Rilke empfunden, als er zu Magda von Hattingberg in Beziehung tritt. Er hatte viele Affären vor ihr, und viele sollten folgen, meist nach demselben Muster des heftigen Beginnens und des schnellen Ausschleichens. Die Geschichte datiert auf das Jahr 1914. Europa taumelt auf den Ersten Weltkrieg zu. Rilke steckt in einem tiefen Arbeits- und Lebensloch. Er ist nicht mehr jung, und er ist noch nicht alt. Magda ist Konzertpianistin. Das ist etwas, was er sucht. Sie bringt ihm die Musik nahe, Ludwig van Beethoven besonders.
Magda von Hattingberg, geboren 1883 in Wien, öffnet ihm die musikalische Welt. Sie macht Rilke mit Ferruccio Busoni bekannt. Busoni steht am Beginn des 20. Jahrhunderts als wegweisender Pädagoge. Er war Pianist und Komponist, noch heute geschätzt von einem Klaviergenie wie Igor Levit, der auf seinem Album von 2023 die gewaltige „Fantasia Contrappuntistica“ von Busoni eingespielt hat.

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Magda und die Musik. Nicht nur läuft diese Liebe typisch für ihn ab, sie erscheint existentiell. Rilke selbst hat sich dazu eindeutig geäußert: „Die Musik lebt in ihr auf eine so große und wunderbare Art, wie ichs nie für möglich hielt: ich glaube, durch sie kann ich mich so an der Musik entwickeln und aufrichten wie einst an Rodins Skulptur.“
Tanz der Töne
Mehr und mehr gerät er in den Bann der Musik, einer noch höheren Abstraktion als Malerei und Moderner Tanz. Die Skulpturen Auguste Rodins, die Malerei Paul Cézannes gehören zu den starken Inspirationsquellen Rilkes. Erst durchdringt er das Visuelle, die Bildende Kunst, bis zur Erschöpfung, wie er schreibt, nachher tritt das Hören (und eigentlich das Un-Hörbare) in den Vordergrund.
Die „Duineser Elegien“ und die „Sonette an Orpheus“. Orpheus, der musikalische Bote aus der Antike, der tänzerische, musizierende Gott. Die „Elegien“ haben ihren Ursprung in einem überwältigenden Hörerlebnis, als Rilke auf dem hoch gelegenen Pfad am Meer bei Triest am Schloss Duino eine brausende Stimme zu vernehmen glaubt: Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen …