Zum Tod von Rebecca Horn: Die Klarheit im Kosmischen

Was war Rebecca Horn eigentlich nicht? In Anerkennung ihres epischen Werks und ihrer bereits frühen Verdienste um die feministische Kunst, bleibt die Antwort aus.

Die Bildhauerin, Aktionskünstlerin und Filmemacherin wagte sich zeitlebens in ihren Performances, mit ihrer kinetischen Kunst und in ihren skulpturalen Rauminstallationen in Grenzbereiche verschiedener künstlerischer Disziplinen vor, die sie mit poetischen Texten und Zeichnungen auffüllte. Dabei erzählen ihre oftmals grazilen bis fragilen Arbeiten auch über die Zerbrechlichkeit ihres eigenen Lebens, das sie die vergangenen nahezu zehn Jahre nach einen Schlaganfall häufig in einem Rollstuhl verbrachte. Als ich sie zuletzt sah, überspielte sie die Situation mit dem ihr eigenen trockenem Humor aus dem südhessischen Odenwaldkreis. Wie immer eigentlich, um den eigenen Schmerz ertragen zu können.

Bereits in jungen Jahren, während eines einjährigen Aufenthaltes im Krankenhaus und Sanatorium, war die 1944 geborene Heidemarie Rebecca Horn gezwungen, sich mit ihrem eigenen Körper auseinanderzusetzen. In ihrem Kunststudium an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg (HFBK) Ende der 1960er Jahre hatte sie sich zuvor durch das Arbeiten mit Polyester und Fiberglas Schäden an der Lunge zugezogen und war gezwungen, die Pläne für ihre Skulpturen aufzugeben. Es sollte ihr persönliches Erweckungserlebnis für anschließende Ausflüge in die aufkommende Body- und Performance-Art werden. Ihre Arbeiten zeichneten seither immer auch die Reduktion auf das Wesentliche aus, waren stets davon bestimmt, dass die Künstlerin bei aller Bescheidenheit auf der Suche nach Klarheit im klassischen Ausdruck war.

Werke wie Sollbruchstellen

Ganz so wie ihr eigenes Leben, setzte Rebecca Horn das Material ihrer Kunst kontrastreich in Szene. Hart gegen weich, Mann gegen Frau, Stahl gegen Federn: ein bei ihr ewiges poetisches Spiel, bei der wie in ihren kinetischen Schmetterlingsobjekten, Brutalität immer präsent war. Wie auch in ihren tanzenden, schwebende Violinen, bei denen die Betrachter:innen mit Poesie in den Zustand versetzt werden, sich auf den Moment vorzubereiten, wenn die Seite reißt. Es wurden Werke wie Sollbruchstellen. Aber sie erzählten immer auch von den Erfahrungen der Künstlerin und ihrem bewegten Leben voller Melancholie.

Als ich sie 2006 vor ihrer Retrospektive im Martin-Gropius-Bau im Studio besuchte, hatte sie gerade ihre neue Arbeit „Das Universum in einer Perle“ fertiggestellt, eine 18 Meter hohe, sich bewegende Spiegelskulptur, um, wie sie sagte, „das Blau des Himmels und die Tiefe des Ozeans im Schwebezustand“ zu halten und den „Menschen zum winzigen Teil einer Geburtsszene werden“ zu lassen. Zur Installation aus goldenen Trichtern und Spiegelflächen hatte sie durch Heyden Chisholms eines ihrer Gedichte vertonen lassen. Das Kosmische, das interessierte sie. Aber vor allem die Rolle des Menschen mit seiner Körperlichkeit im großen Ganzen.

Schon in ihren ersten Skizzen entwickelte sie Körperskulpturen und -gerätschaften, die benutzt werden sollten, um die Sensibilität für den eigenen Körper zu schärfen, wie in ihrer bedeutendsten Arbeit „Einhorn“ (1970), oder später „Der Eintänzer“ (1978). Mit ihrer Installation „Pfauenmaschine“ setzte sie der von Beuys dominierten Kunstwelt mit seinen Basaltstelen unter 7000 Eichen 1982 auf der siebten Documenta dem Schweren etwas Leichtes gegenüber und zeigte der von Männern dominierten Welt dieser Tage nonchalant die kalte Schulter.

Man mochte ihren Witz, so wie in ihrer Arbeit „Painting Machine“ von 1988, mit der sie sich in der Zeit eines auslaufenden Informel nicht zuletzt über den abstrakten Expressionismus lustig machte. Und so lud man sie gleich vier mal nach Kassel zur Documenta ein. Auf der Venedig-Biennale war sie zweimal vertreten. Ihre Kunst hatte immer auch Unterhaltungswert, deren Gesellschaftsrelevanz die Betroffenen bis ins Mark traf.

Zum ersten Mal stellte sie 1972 auf der Documenta aus, damals als jüngste Teilnehmerin. Ihre Einflüsse kamen in diesen Jahren aus einer lebendige Szene der Fluxus- und Performancekunst zwischen 1972 bis 1981 in New York. Von dort zog es sie nach Paris, später lehrte sie am California Art Institute der Universität von San Diego und ab 1989 an der Hochschule der Künste in Berlin.

Der weltweite Zuspruch für Rebecca Horns Kunst manifestierte sich schließlich in internationalen Ausstellungen bedeutender Institutionen von Rio de Janeiro bis Moskau sowie Kunstbiennalen. Auch wurde sie nach ihrem ersten Kunstpreis der Glockengasse in Köln (1977) zuletzt mit internationalen Ehrungen überhäuft: Praemium Imperiale (2010), Grande Médaille des Arts Plastiques, Académie d’Architecture de Paris (2011). Sie war Mitglied des Ordens Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste, 2017 bekam sie den Wilhelm-Lehmbruck-Preis.

Nach ihrem Schlaganfall ging sie wieder zurück in ihre Heimat und widmete sich überwiegend ihrer Stiftung, der Moontower Foundation, die zuletzt eine Kooperation mit dem Land Hessen und dem Museum Wiesbaden für 30 raumgreifende Installationen sowie 30 Malereien und Zeichnungen aus allen wesentlichen Werkzyklen Rebecca Horns als Dauerleihgaben einging.

Rebecca Horn verstarb vergangenen Freitag im Alter von 80 Jahren.

Der Autor Sebastian C. Strenger ist international als Kurator tätig und war Wegbegleiter über die Dauer von 20 Jahren.