Monster-Ausstellung in der Villa Heike: Auch Trolle haben Gefühle
Noch ist es hell in Lichtenberg, an diesem Mittwochabend, zwischen Bauzaun, Brache und Lidl. Auf der anderen Straßenseite, im Foyer der Villa Heike, ist es dunkel. Etwas scheint zu warten, hinter der geöffneten Tür. Ein passender Start für die neue Ausstellung der Kleinen Humboldt Galerie. Denn darum soll es gehen: um die Dinge, denen man im Dunklen begegnet. Sieben junge Künstler:innen widmen sich hier der alten Frage: Was ist ein Monster?
Oft verkörpert das Monströse marginalisierte Aspekte, derer sich eine Gesellschaft zu entledigen versucht, weil sie drohen, ihr Selbstverständnis zu irritieren. Das Unheimliche ist schon bei Freud das Altbekannte und Verdrängte, das, was im Dunklen liegt. Es ist ein Konzept, das zur Subversion einlädt. So ist Theresa Rothes „Mannhundschwein“ auf den zweiten Blick nicht die kauernde Figur, die man im Dunkel des Foyers zu erahnen glaubt.
Beinahe süß sieht sie aus, diese Kreatur. Sie erinnert an die Stofftiere der Kindheit. Doch die kindliche Vertrautheit weicht schnell dem Ekel, den kahle, warzige Stellen und ein rotierender, nackter Schwanz auslösen. „Mannhundschwein“ ist ein treffendes erstes Werk in einer Ausstellung, die versucht, sich mithilfe von Monstern gesellschaftlichen Ängsten anzunähern: Es oszilliert zwischen Vertrautheit und Verunsicherung.
Spiel mit dem unheimlich Bekannten
Das Spiel mit dem unheimlich Bekannten zieht sich durch die Ausstellung: Daniel Dobarco malt comichafte Monster der Kindheit. Oger, Elfen, Trolle, sie weinen, bluten und fallen. Die Last des Monsterdaseins wiegt schwer. Marina Pohls „Susanna“ verweist auf die biblische Erzählung der Susanna im Bade. Anders als in traditionellen Abbildungen sieht man eine junge Frau, die, den Rücken dem Betrachter zugewandt, auf dem Boden kniet. Im Hintergrund nähern sich zwei schattenhafte Gestalten. In seiner Beklemmung wird das Bild der Monstrosität der Geschichte gerecht. Zu sehen ist Susannas Angst, statt ihrer entblößten Brust. Eine Antwort auf den doppelten Voyeurismus vergangener Darstellungen.
Doch nicht alle Monster sind so gegenwärtig. Manche von ihnen bleiben vorerst im Dunkeln: Mit „no_clip“ lagert Anny Listmeier das Erkunden der Dunkelheit beim Betrachter aus. Ihr Video führt durch surreale, beklemmende Räume. Unweigerlich beginnt der Betrachter in seiner Desorientierung, eigene Ängste zu projizieren. Man erschafft sich sein eigenes Monster.
Die Angst vor dem Lebendigen
Moran Sanderovichs namenlose Skulptur referenziert menschliche Körperlichkeit und überschreitet sie doch. Er zeigt einen Menschenkäfer, dem Kabel aus Ohren und Nase sprießen. Die feinen Risse und Falten, der Flaum auf dem Gesicht wirken lebensecht. Fast scheint es, als schwitze der Silikonkörper. Man erwischt sich bei dem Gefühl, auf etwas herabzublicken, das gerade noch lebendig war.
Auch Aline Schwörer schafft mit Arbeiten, die aus den Wänden zu wachsen, aus dem Boden zu sprießen scheinen, ein atmendes Ökosystem. „Torsion“ (2021), ein Brunnen wie ein Geschwulst, aus dem schwarzes Wasser quillt, scheint beinahe zu pulsieren. Es sind Beiträge, die Fragen aufwerfen: Was ist hier organisch, was künstlich? Spielt es eine Rolle dafür, was sich bewegt, was atmet, was lebt?
Es sind genau diese Fragen, denen sich auch der letzte Beitrag der Ausstellung widmet: Für „Return of the Teratoma“ (2017-18) hat Lyndsey Walsh Teratome gezüchtet – aus Stammzellen geschaffene, organähnliche Krebsgeschwüre mit Haaren und Zähnen. Was bei Menschen schon immer natürlich vorkommt, kann mittlerweile auch im Labor zu Forschungszwecken entstehen. In Walshs Horrorfilm, der in der Ausstellung läuft, existiert das monströse Teratom nun unabhängig von seinem einst biologischen Ursprung – und sucht die Menschen heim, von denen losgelöst es nun existiert.
All diese Werke irritieren, desorientieren, fürchten. Es scheint die letzte, große Angst: das Rütteln an der Frage, was es heißt, zu leben. Offen bleibt, warum. Die Antwort darauf liegt im Dunkeln. Wer sich traut, kann sich noch bis zum 28. Juni in der Villa Heike auf die Suche machen.