Zum Tod von Paolo Taviani: Ein Kino von Politik und Poesie

Mehr als ein halbes Jahrhundert drehten sie miteinander Filme, und „in so perfekter Harmonie, dass sich nie feststellen ließ, wer welche Szene gedreht, wer wo die Regie geführt hatte“, wie jetzt die Tageszeitung „Repubblica“ schrieb. Nun ist Paolo Taviani Vittorio, seinem Bruder und zweiten Ich hinter der Kamera, gefolgt. Sechs Jahre nach Vittorio, dem zwei Jahre Jüngeren, starb am Donnerstagabend in Rom auch der andere Taviani. Paolo Taviani wurde 92 Jahre alt.

Untrennbares Duo

Bis 2018 gab es sie künstlerisch nur im Doppel, was sie selbst spöttisch kommentierten: „Nennt uns nicht Brüder Taviani, das klingt wie ein Feinkostgeschäft.“ Eine Zusammenarbeit, die 1954 mit einem Kurzfilm über den Krieg in ihrem Heimatort San Miniato in der Toskana begann und 1977 erstmals weltweit Beachtung fand: „Padre Padrone“, deutsch „Mein Vater, mein Herr“ erhielt damals die Goldene Palme in Cannes. „Padre Padrone“, der nach dem autobiografischen Roman von Gavino Ledda die Selbstbefreiung eines sardischen Bauersohns aus patriarchalischer Unterdrückung erzählte, schrieb ebenso italienische und europäische Filmgeschichte wie „Allonsanfàn“ (1974), „Die Nacht von San Lorenzo“ (1982), „Kaos“ (1984) oder „Das Haus der Lerchen“ (2007).

Hier noch ein Duo: Paolo und Vittorio Taviani bei der Berlinale.
Hier noch ein Duo: Paolo und Vittorio Taviani bei der Berlinale.

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Das Kino der Tavianis verhandelte Politisches in einer poetischen Filmsprache, oft mit der italienischen Landschaft als Protagonistin, so die lombardische Flussebene in „San Michele aveva un gallo“ (Der Aufstand des Giulio Manieri). Ihren letzten großen Erfolg hatten die Brüder 2012, als „Cäsar muss sterben“ den Goldenen Bären der Berlinale erhielt. Die Darsteller waren allesamt Insassen des römischen Gefängnisses Rebibbia. Die Kamera der Tavianis war im Hochsicherheitstrakt sechs Monate lang den Proben der Häftlinge zu Shakespeares „Julius Cäsar“ gefolgt.

Auch nach dem Tod von Vittorio 2018 drehte Paolo weiter. Noch im selben Jahr entstand „Eine private Angelegenheit“, Umsetzung ihres letzten gemeinsamen Drehbuchs. Paolos erstes Solo „Leonora addio“ erhielt 2022 erneut eine Wettbewerbseinladung zur Berlinale. Das nächste Projekt sollte „Der schwarze Korsar“ werden, Neuverfilmung des in Italien über Generationen geliebten Abenteuerromanciers Emilio Salgado. Krieg und Faschismus waren immer wiederkehrende Themen im Kino der Tavianis. Beides hatten sie unmittelbar erlitten. Ihr Vater, ein Anwalt, war ein entschiedener Antifaschist, ihr Elternhaus sprengten die Schwarzhemden.

Paolo, der anders als sein Bruder Vittorio den Wahlsieg von Giorgia Melonis Postfaschisten im Herbst 2022 noch erlebte, war in den letzten Jahren voller Sorge, die überwunden geglaubten Zeiten könnten zurückkehren. „Einige meiner Freunde meinen, ich würde übertreiben“, zitierte ihn jetzt der „Corriere della sera“. „Aber ich sehe die Dinge so.“