Worauf sich die Fans von Hertha BSC freuen können: Eine neue Liga ist wie ein neues Leben
„Eine neue Liga ist wie ein neues Leben“ (oder zumindest so ähnlich), hat der Schlagersänger Jürgen Marcus schon vor 50 Jahren geträllert. Die Fans von Hertha BSC, die zuletzt so viel Leid mit ihrem Verein zu ertragen hatten, dürften diesen Gedanken in den vergangenen Wochen auch schon das eine oder andere Mal gehabt haben.
Die Zweite Liga ist zwar – zumindest wenn man, wie Hertha, von oben kommt – das, was der SPD-Politiker Franz Müntefering einst über Opposition gesagt hat: Mist. Aber wenn der Aufenthalt die Mindestlaufzeit von einem Jahr nicht überschreitet, dann kann die Zeit in der Zweiten Liga sogar etwas Erfrischendes haben. Hier sind ein paar Gründe, warum Herthas Fans mit Blick auf die neue Saison nicht ganz so schwermütig sein sollten.
Keine Werksklubs
Leipzig, Hoffenheim, Wolfsburg, Leverkusen: Alle diese Klubs haben (mindestens) zwei Gemeinsamkeiten. Sie hängen am Tropf eines Konzerns (oder Mäzens), ohne dessen finanzielle Unterstützung sie kaum lebensfähig wären – und ohne die sie es vor allem nie so weit gebracht hätten.
Die zweite Gemeinsamkeit: Dank ihrer großzügigen Geldgeber ist noch keiner dieser vier Klubs aus der Bundesliga abgestiegen, auch wenn es bei Wolfsburg, Hoffenheim und Leverkusen das eine oder andere Mal ziemlich knapp war.
Man wird sie einfach nicht mehr los, diese Retortenklubs, die im Unterschied zu den verkrachten Existenzen (auch bekannt als Traditionsvereine) ach so tolle Arbeit leisten; die aber auch ach so viel mehr Geld zur Verfügung haben, das sie anders als die Traditionsvereine eben nicht komplett selbst erwirtschaften müssen.
Inzwischen nehmen die Werksklubs in der Bundesliga fast ein Viertel der Plätze ein. Aber das muss Hertha erst einmal nicht stören. In der Zweiten Liga gibt es keines dieser sonderbaren Geschöpfe, die aus der Retorte entstanden sind.
Viel Tradition
Stattdessen tummelt sich in der Liga jede Menge Tradition. Den Namen nach ist das Unterhaus deutlich spektakulärer besetzt als das Oberhaus: Eintracht Braunschweig statt VfL Wolfsburg, Schalke 04 statt Mainz 05, 1. FC Kaiserslautern statt TSG Hoffenheim, der FC St. Pauli anstelle des FC Augsburg.
In der Zweiten Liga spielen sogar mehr Deutsche Meister als in der Bundesliga. Elf sind es, dazu kommen noch zwei Titelträger aus dem Osten (Magdeburg und Rostock). Die Erste Liga hingegen bringt es auf gerade mal acht Meister. Insgesamt sind im Unterhaus 41 Meisterschaften, 27 Pokalsiege und 4 Europapokalerfolge versammelt. Da wird selbst der FC Bayern München ein bisschen neidisch.
Große Rivalen
Auf das Derby gegen den 1. FC Union müssen Herthas Fans in der kommenden Saison verzichten; aber zuletzt war das ohnehin alles andere als eine spaßige Angelegenheit. Die letzten fünf Duelle gegen den Emporkömmling aus der eigenen Stadt hat Hertha allesamt verloren.
An Rivalen und Duellen mit Geschichte mangelt es aber auch in der Zweiten Liga nicht. Mit dem Auftakt bei Fortuna Düsseldorf geht es gleich gut los. 2012 stieg Hertha an selber Stelle aus der Bundesliga ab, als es im Rückspiel der Relegation auf den Rängen zischte und krachte und ein positiv besetzter Platzsturm der Fortuna-Fans Herthas Bemühungen um eine späte Wendung zum Guten jäh stoppte.
Das zweite Auswärtsspiel der Saison führt die Berliner dann zum zweiten Verein, gegen den sie bisher in der Relegation antreten mussten. Gegen den Hamburger SV ist es im Mai 2022 immerhin besser ausgegangen als gegen Fortuna Düsseldorf. Nicht zu vernachlässigen ist auch das Wiedersehen mit Schalke 04 (beziehungsweise Gelsenkirchen), dem traditionellen Erzfeind aller geschichtsbewussten Herthaner (Zoltan Varga, Sie erinnern sich).
Auch die Spiele mit den beiden Ost-Klubs Magdeburg und Rostock, die vom Fernsehen mit ziemlicher Sicherheit als Derbys verkauft werden dürften, könnten feurig werden (und das im Wortsinn).
Als Hertha 2017 in der ersten Runde des DFB-Pokals zum vorerst letzten Mal auf Hansa Rostock getroffen ist, konnte man den Eindruck gewinnen, auf einer Leistungsschau der pyrotechnischen Industrie gelandet zu sein. Pyrophobisch veranlagte Menschen sollten das Ostseestadion am ersten November-Wochenende daher lieber weiträumig umfahren.
Gute Freunde
Die Zweite Liga beschert Hertha aber nicht nur viele rassige Duelle, sie beschert den Berlinern auch ein Wiedersehen mit alten Freunden. Seit beinahe 50 Jahren pflegen die Anhänger von Hertha BSC und dem Karlsruher SC eine stabile und durchaus innige Fan-Freundschaft, auch wenn beide Seiten zuletzt dazu gezwungen waren, eine Art Fernbeziehung zu führen.
Das letzte Aufeinandertreffen im Ligabetrieb liegt bereits zwölf Jahre zurück. Auch damals waren beide Klubs zweitklassig. Die Erinnerung dürfte allerdings nur den Berlinern ein Lächeln aufs Gesicht zaubern: 4:0 gewann Hertha im Olympiastadion, gar 6:2 im Wildpark.
CO2-Bilanz
Kein Derby, das heißt natürlich auch, dass für die Fans von Hertha BSC die kürzeste Anreise zu einem Auswärtsspiel wegfällt. Nur knapp 30 Kilometer sind es vom Olympiastadion in Westend zur Alten Försterei in Köpenick. Trotzdem können die Allesfahrer unter Herthas Anhängern in der neuen Saison einiges an klimaschädlichem CO2 einsparen. Herthas Abstieg schont die Umwelt.
7264
Kilometer müssen Herthas Fans in dieser Saison zu den Auswärtsspielen zurücklegen.
Die längste Auswärtsfahrt in der Zweiten Liga (Elversberg) ist zwar nur unwesentlich kürzer (777 zu 803 Kilometer) als die längste Auswärtsfahrt in der Ersten Liga (Freiburg); generell aber reduziert sich die Fahrtstrecke deutlich. Mussten Herthas Fans in der vergangenen Saison 8347 Kilometer zu allen 17 Auswärtsstadien ihres Klubs zurücklegen, so werden es in der kommenden Spielzeit nur noch 7264 Kilometer sein. Ergibt eine Ersparnis von immerhin 64 Kilometern pro Spiel.
Elversberg
Fußball bildet. Weil der Fußball einen als Fan an Orte verschlägt, die man sonst vermutlich nie zu sehen bekäme. Für die Anhänger von Hertha BSC wird das in der kommenden Saison die Gemeinde Spiesen-Elversberg im Landkreis Neunkirchen im Saarland sein. Die Sportvereinigung Elversberg (daher die SV Elversberg, nicht: der) hat in diesem Frühjahr den Durchmarsch aus der vierten in die Zweite Liga perfekt gemacht.
Elversberg ist der Exot der Liga und damit auch das exotischste aller 17 Reiseziele. Das Problem ist, dass die Arena an der Kaiserlinde nur 10.000 Plätze hat und Herthas Anhang davon gerade mal 1000 zustehen. Auch die Anreise, zumindest mit dem Zug, dürfte mühsam werden. Um einmal im Leben Elversberg zu sehen, muss man, von Berlin kommend, mindestens dreimal umsteigen und eine Fahrtzeit von acht Stunden in Kauf nehmen.