Iran: Liveticker einer Revolution
Die Autorin Maral Koohestanian ist Deutsche und Iranerin. Aufgewachsen ist sie in Hessen. Die Smart-City-Expertin hat eine Passion für lebenswerte, faire Städte und spricht sieben Sprachen.
43 Jahre ist es nun her, dass mein Vater nach Deutschland kam. Eigentlich für sein Studium, nur temporär. Den Plan zu bleiben, hatte er damals nicht. Deutschland war für ihn, wie für so viele Iraner*innen in dieser Zeit, vor allem die Chance auf eine gute, bezahlbare Bildung. Doch schon bald wurde aus Deutschland die zweite Heimat, während die erste in immer weitere Ferne zu rücken schien. Aufgrund der politischen Situation wurde die Aussicht auf eine Rückkehr immer geringer, die Hoffnung jedoch blieb. Bei meinen Eltern, aber auch bei uns Kindern.
Für viele von uns, die wir als Kinder von Exil-Iraner*innen im Ausland großgeworden sind, bedeutete die Hoffnung unserer Eltern das Aufwachsen mit einer undefinierbaren Sehnsucht im Herzen. Gleichzeitig irritierten uns die Emotionen. Sporadische Besuche im Iran waren mit Angst und Zittern verbunden, schon im Flugzeug hatte mein Vater nasse Hände, nie wussten wir, ob Ein- und Ausreise am Ende wirklich stattgegeben würde.
Prominente schneiden sich die Haare ab
Dieser Tage gehen wieder Bilder aus dem Iran um die Welt, Prominente schneiden sich in Solidarität insbesondere mit den Frauen ihre Haare ab, von einer Revolution ist die Rede. Doch das, was durch die deutschen Nachrichten und sozialen Medien flackert, hat seinen Anfang bereits vor Dekaden genommen. Das, was uns Iraner*innen, ob in der Diaspora oder im Iran aufgewachsen, so lange verstummen ließ, ängstigte schon Generationen vor uns.
1953 wurde die erste demokratische Regierung des Irans mit Premierminister Mossadegh mit Hilfe der CIA gestürzt. Nachdem der damals in Folge als autokratischer Herrscher an die Macht gebrachte Shah in der islamischen Revolution 1979 auch gestürzt wurde, lag alle Hoffnung auf Khomeini, der initial betonte, auch er wolle einen demokratischen Iran. Innerhalb kürzester Zeit wurde diese Hoffnung im Keim erstickt und ein Diktator wurde durch einen anderen ersetzt. Das Leben im Iran wurde eingeschränkt, westliche Medien und Kleidung, oder auch der Konsum von Alkohol verboten. Immer wieder versuchten Iraner*innen sich in diesen Jahren gegen das islamische Regime zu stellen, das bis heute Unterdrückung und Angst in der Bevölkerung prägt.
Es war nie ein Geheimnis, dass die iranische Republik versucht, ihre Bevölkerung mundtot zu machen. Seit dem gewaltsamen Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini, die ihr Kopftuch nicht der iranischen Kleidervorschrift entsprechend trug, wird mit einem noch enormeren finanziellen und personellen Aufwand und einer mindestens 80.000 Personen starken Cyberarmee mit allen Mitteln versucht, die nach Freiheit strebende, eine Revolution treibende Bevölkerung zum Verstummen zu bringen. Notfalls durch Massenhinrichtungen, die der heutige Präsident Raisi schon 1988 zu verantworten hatte.
Aber das Internet kennt längst keine Grenzen mehr. Vor allem Iranerinnen und Iraner im Exil saugen alle Informationen auf und verstärken die Stimmen derjenigen, die laut Islamischer Unrechtsrepublik keine haben dürften. Privatpersonen sind zu Nachrichtenportalen geworden.
Der täglich gleiche Kreislauf
Für mich bedeutet das seit bald zwei Monaten täglich den gleichen Kreislauf: Ich wache auf, schaue auf mein Handy und sofort bin ich wieder in der brutalen Realität angelangt. Das, was für mich und viele andere um mich herum auch Heimat bedeutet, brennt. Für die Freiheit, für unsere Werte, riskieren Iranerinnen und Iraner seit acht Wochen ihr Leben. Was bleibt, ist das Internet. Als Liveticker einer Revolution, als Verbindung in den Iran, als einzige Quelle, als Beweismittel der Verbrechen der Islamischen Republik gegen die Menschlichkeit und als Druckmittel. Wir stellen uns also den Bildern. Und wir teilen sie.
Instagram und Twitter sind unsere Informationsquellen und unsere wichtigsten Brücken zu den Kämpfenden im Iran. Die sozialen Medien sind die stärksten Waffen, die wir im Exil haben, die Hebel, die wir bedienen können. Also teile auch ich, poste, kommentiere. Gemeinsam mit mir rufen viele Iraner*innen und einige wenige Nicht-Iraner*innen nach der Freiheit. Doch auch das laute Schweigen im Alltag hören wir. Dabei brauchen wir die Solidarität, derjenigen, deren Stimmen im internationalen Diskurs Gewicht haben: die Solidarität der breiten Masse.
Erstaunlich still reagierte zu Beginn dieser Revolution nicht nur Olaf Scholz. Während der Bundeskanzler bis zum vergangenen Samstag noch „waitful watching“ betrieb, sind unsere Tage gefüllt mit dramatischen Appellen, mit Hilferufen. Sänger wie Shervin Hajipour werden zu den Stimmen dieser Revolution. Seine Hymne Baraye (Für/Wegen) rührt zu Tränen – auch, weil ihr Interpret kurz nach der Veröffentlichung des Liedes inhaftiert wurde.
Wie er wurden unzählige weitere Stimmen verhaftet. Sie werden mundtot gemacht, sind nun der Willkür des Staatsapparats ausgeliefert. Viele wurden bereits zum Tode verurteilt. Durch ihre Videos, Lieder und Schriften sprechen sie weiter zu den Kämpfenden, sprechen ihnen und uns aus der Seele. Sie geben Kraft – dennoch schlägt die Ohnmacht gnadenlos zu. Uns bleibt nur, ihre Bilder zu teilen und ihre Lieder zu singen – und zu hoffen, dass auch andere mit uns gemeinsam diese Botschaften senden. Denn nur so können wir den Druck auf das iranische Regime und die internationale Gesellschaft aufrechterhalten, den es nun so sehr braucht. Wir brauchen diese Solidarität und wir brauchen eine Verstärkung der Stimmen die nach Freiheit rufen. Die emotionale Wucht dieses Kampfes muss in die sozialen Medien und weit darüber hinausgetragen werden.
Zwischen Hoffnung und Ohnmacht mischt sich Wut. Auf die brutalen iranischen Machthaber und ihre Handlanger. Auf einen schweigenden Bundeskanzler, der acht Wochen für ein Statement braucht. Auf Sanktionen, die beinahe schon ironisch klingen, so klein sind sie. Und auf diejenigen, die noch immer schweigen, obwohl sie die Freiheit haben, zu sprechen. Unser Rufen scheint niemals laut genug zu sein. Aber wir hoffen. Auf internationale Sanktionen, auf starke Stimmen, auf das Verständnis, dass jeder einzelne in dieser Revolution am Ende zählen wird. Und darauf, mit unseren Eltern und mit unseren Freunden bald in Freiheit in ein Land zurückkehren zu können, das bewaffnet ist mit Mut und sich mit Zorn befreien konnte.
Zur Startseite