Erst waren sie heiß geliebt, dann stürzte einer nach dem anderen
Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter.
Die Kunst des Lebens, das ist ein Zwischenfazit, besteht darin, die Gegenwart zu erfahren, bedingungslos jetzt hier zu sein, während wir zugleich aus Vergangenem für das Künftige lernen. Die Kunst des Lebens beinhaltet bisweilen, nicht bitter zurückzublicken, sondern weiterhin das Wundervolle vergangener gemeinsamer Jahre sehen zu können.
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Und doch, hin und wieder, muss das Gegenteil sein, die schmerzhafte Erkenntnis: Das war alles nichts. Außer Hochstapelei. Ja, es war nichts außer Lüge, wie nur konnten die Lügner so lange damit durchkommen?
Die Cuomos waren Heilige der liberalen amerikanischen Gegenwart
Die Brüder Andrew und Chris Cuomo waren Medienhelden, waren Heilige der liberalen amerikanischen Gegenwart, Gegentrumps: der große Andrew, Gouverneur des Bundesstaates New York, und der kleine Chris, Moderator von „Cuomo Prime Time“ auf CNN, um 21.00 Uhr Ostküstenzeit gegen Sean Hannity programmiert, den Trump-Bejubler von Fox News.
Die Cuomo-Brüder, all das ist noch nicht lange her, personifizierten Werte und Haltungen: Anstand, Mitgefühl, Sorgfalt, Systematik. Der große Bruder inszenierte sich in jenem ersten Coronajahr als strategischer Kümmerer, und der kleine Bruder spielte den feinsinnigen Investigativen mit dem Slogan „Let’s get after it.“
Andrew begann als Bezirksstaatsanwalt, Chris ging zum Fernsehen
Die Großeltern der Beiden waren italienische Einwanderer, der Vater Mario war von 1983 bis 1994 Gouverneur von New York. Andrew wurde Bezirksstaatsanwalt in Manhattan, Bill Clinton machte ihn zum Bauminister, 2011 wurde Andrew Gouverneur; Chris ging zum Fernsehen.
Dieser Chris, bildschirmerobernd bombastisch, musste im Frühjahr 2020 aus dem eigenen Keller moderieren, da er infiziert war. „Mein bester Freund“, sagte damals der Gouverneur: „Er wird das schaffen, er ist stark.“
Andrew zu Gast in Chris’ Show: „Pass auf dich auf, ich liebe dich.“
Der Ältere kam in die Sendung des Jüngeren. „Governor“, sagte der Kleine. „Hm“, brummelte der Große. „Governor, ich möchte Sie nicht unterbrechen.“ „Warum tust du’s dann?“ „Vergiss nicht, Mama anzurufen, dafür muss immer Zeit sein.“ „Habe ich gemacht.“ „Mama sagt etwas anderes. Pass auf dich auf, ich liebe dich.“ „Hm.“ Das leidende Amerika der Demokraten, die CNN-Zielgruppe, liebt seine Idole, liebte diese Show.
In der Rückschau ist klar, dass Andrew niemals der strahlende und schon gar nicht der siegende Ritter im Kampf gegen das Virus war. Er hatte die überforderten Pflegeheime gezwungen, Patienten aufzunehmen, und dort, in übervoller Enge, starben die Patienten. Und Tausende Menschen starben in den staatlichen Krankenhäusern New Yorks, während private Kliniken Kapazitäten gehabt hätten – der Transfer funktionierte nicht. Das war kein Thema in „Cuomo Prime Time“.
Auf einmal war der Gouverneur der grapschende Patriarch
Und das Ende begann. Die erste Frau, die sich traute, gegen das Bollwerk anzureden, sagte der „New York Times, Andrew Cuomo habe sie sexuell belästigt. Dann redeten weitere, und das Bild eines grapschenden Patriarchen entstand, dem die schönen jungen Frauen zugeführt werden mussten, und auch dies gehörte zum Bild: Viele in Albany (der Hauptstadt des Bundesstaats New York), die die Geschichte der Cuomo-Verklärung mitgeschrieben hatten, hatten die Wahrheit gekannt. Andrew Cuomo musste zurücktreten.
Die Geschichte der Brüder hat das Zeug zur Verfilmung
Sein Bruder folgte ihm am Samstag: CNN entließ Chris Cuomo. Der hatte Andrew beraten, hatte Andrews Team beraten, hatte sich auf Bruderliebe berufen, aber es war bloß ein Bruch mit journalistischen Regeln. Der Reporter hatte für den Gouverneur recherchiert, wo wann welche Meldung über Andrew erscheinen würde und was dagegen zu tun sei; nur berichtet hatte er nicht.
Eine Saga. Ein Filmstoff. Eine Geschichte über das Leben, das private und das öffentliche, und über Heldenverehrung an und für sich.