„Touched“ im Kino: Körper ohne Grenzen

Immer wieder huschen die Augen hoch zum Gesicht. Sie wollen sich versichern, dass die Hände ja nichts falsch machen, während sie diesen anderen Körper vor ihnen im Bett berühren. Vorsichtig wandern die Finger ab dem Bauch weiter, streichen über die Hüftknochen von Alex (Stavros Zaveiris), bis sie auf dem schmalen Streifen aus Haaren landen, der zwischen die Beine führt.

Ein kurzer Blick, wieder schaut Maria (Ísold Halldórudóttir) in Alex‘ Gesicht, bevor sie seinen Penis massiert, ihn anhebt und mit der Hand umschließt. Ob sie auch die Hoden anfassen könne, fragt der querschnittsgelähmte Mann, der die junge Frau vor ihm aufmerksam beobachtet. Dann setzt er nach: „Do you have a boyfriend?“

Er liegt, sie sitzt am Rand des Bettes, als sich die Berührungstherapie-Session zwischen der Pflegekraft und dem Patienten zum handjob entwickelt, den die Klärung des gegenseitigen Beziehungsstatus (beide Single) unterbricht.

Erzählung anhand zweier Körper

Seit einem Unfall fühlt Alex nur noch wenig untenrum. Was er aber fühlen könnte in diesem Moment, das ist es, um das beide Beteiligte wissen, wenn sie sich gemeinsam einer verbotenen Vorstellung hingeben, die für eine kurze Zeit in der Heimlichkeit des Zimmers mit den hellblauen Wänden und zitronengelben Vorhängen bestehen kann.

Von der einfachen Sehnsucht nach diesem Fühlen, dem Berührt- und Begehrtwerden handelt „Touched“. Was den Spielfilm der deutschen Regisseurin und Drehbuchautorin Claudia Rorarius, der seine Premiere im vergangenen Jahr in Locarno feierte, so besonders macht, ist zweierlei: Zum einen, dass er seine Erzählung genau anhand zweier Körper unternimmt, die auf unterschiedliche Weisen ausgegrenzt, benachteiligt und behindert werden – und die mit dem griechischen Tänzer Stavros Zaveiris sowie der isländischen Body-Positivity-Aktivistin Ísold Halldórudóttir selten derart selbstverständlich im Kino zu sehen sind.

Die Angemessenheit des Anschauens

Zum anderen lässt Rorarius ihre beiden Figuren an einem Ort aufeinandertreffen, der durch das Verhältnis von Intimsphäre und Respekt, Fürsorge und Selbstbestimmung gekennzeichnet ist, wo die romantische Liebe aber eben keine Option sein kann. Umziehen, wecken, aufrichten, füttern, waschen. „Sieh gut zu, morgen musst du das alleine machen“, hatte bei der Einarbeitung die Kollegin (Angeliki Papoulia) zu Neuling Maria gesagt.

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Für die Abläufe im Pflegeheim, die den Beginn von „Touched“ vorgeben, nimmt sich der Film viel Zeit. Denn sie etablieren seinen grundlegenden Modus, auf Figuren zu gucken, die wiederum aufmerksam ihre Umgebung mitschneiden.

Ein Waschlappen wischt über das Tattoo am Arm, der nackte Alex sieht zu Maria im Kittel, die es anfangs noch strengstens vermeidet, seine Blicke zu erwidern. Zu kurz, zu lang, zu neugierig: Mit dem Anschauen und seiner Angemessenheit beschäftigt sich Regisseurin Rorarius, auch indem sie sich für die Mehrdeutigkeit von Situationen interessiert und das Publikum mithilfe von Szenen herausfordert, in denen sich Pflegealltag, Voyeurismus und pornografische Lust teils nicht mehr stabil voneinander trennen lassen.

Maßgeblich sind dabei stets die Machtgefälle, die die Begegnungen zwischen Maria und Alex strukturieren, wenn die körperliche Annäherung zur Grenzüberschreitung oder zum Übergriff wird, weil Zustimmung eine Kategorie ist, die hier nicht immer greifen will.

Das Gewaltvolle im Verlangen nach Intimität

Durchaus wird in „Touched“ miteinander gesprochen, aber am Anfang beschränkt sich das auf wenige, knappe Sätze in unterschiedlichen Sprachen. Ein anderes Reden muss erst in diesen Film einziehen, eines, in dem es nicht mehr um die Einschätzung einer angenehmen Wassertemperatur geht, sondern um das Gewaltvolle, das in dem Verlangen nach Intimität stecken kann.

Demgegenüber stehen bei Rorarius die Sanftheit der Körper, Formen und Farben, die dem Film seine Sinnlichkeit verleihen. Die Pastelltöne der Einrichtung im Heim, das Blond von Marias Haar, das harmlose Grün der Wiese, die sich um die Schwärmenden in der Sonne schmiegt, zusammen unauffällig für ein Schäferstündchen am See ausgebüxt.

Pflegealltag, Voyeurismus und pornografische Lust: Maria (Ísold Halldórudótti) testet Grenzen aus.

© Cologne Cine Collective

Zwei Liebende könnten sie sein auf den ersten Blick, ein ungleiches Paar, diese große, starke Frau, die sich nicht anstrengen muss, um den kleinen, schmächtigen Mann aus dem Wasser zu retten und ihm ein zweites Leben zu schenken. Der Enge der Pflegeeinrichtung werden Maria und Alex trotzdem nicht entkommen.

Sie wird durch das Seitenverhältnis im 4:3 und die Starrheit der Kamera ebenso verstärkt wie über die Aufnahmen von Natur, von Wäldern, Hügeln, Gewässern. Sie führt „Touched“ als Versprechen auf die freien Bewegungen vor, die sich in diesen Räumen vollziehen könnten, wären die zwei Figuren nicht gesellschaftlich an ihre Ränder gedrängt.

Mit einem elektrischen Rollstuhl, einem Geburtstagsgeschenk, verändert sich der Spielradius von Alex, andere Frauen treten auf, die seine Potenzperformance und Marias Professionalität herausfordern. Zunehmend hantiert „Touched“ mit eindeutigeren Szenen der Abhängigkeit, Erniedrigung und Dominanzgesten, in denen gerne der Blasenkatheter rausgeholt und in Großaufnahme bei Alex eingeführt wird.

Von einer Liebe, die nicht halten kann, und einer Musik, die vergessen lässt, erzählt dieser Film, wenn er sich nichts weniger als dem Großen und dem Ganzen annimmt. „If you fall, I will catch you, I will be waiting“, singt Maria traurig beim Karaoke. Trotzdem ist es schön, beim Bemühen zuzusehen.