Fatih Akins Insel-Hommage „Amrum“: Der Junge, das Meer und der Krieg

Nordsee ist Mordsee. Das erlebt Nanning in einer mondhellen Nacht, als er über den Kniepsand stromert, um Treibholz zu sammeln. Da liegt ein britischer Fallschirmspringer am Strand, den das Meer angeschwemmt hat. Mausetot, die Augen von Möwen herausgehackt.

„Nordsee ist Mordsee“, so heißt ein Klassiker des Filmemachers Hark Bohm, dessen 2024 als Roman erschienene, autobiografische Erinnerungen an die Kriegskindheit auf Amrum Fatih Akin verfilmt und beim Festival von Cannes uraufgeführt hat. Im Vorspann wird „Amrum“ als ein „Hark Bohm Film von Fatih Akin“ gelabelt, was die Temperatur der Coming-of-Age-Geschichte gut beschreibt.

Die eine Woche im Frühjahr 1945, die das Drama erzählt, ist atmosphärisch dicht, aber ausgesprochen zurückhaltend inszeniert. Bei Fatih Akin, der seit seinem Goldbären-Gewinnerfilm „Gegen die Wand“ (2004) zu den profiliertesten deutschen Autorenfilmern zählt, geht es sonst hitziger zu.

Seinem alten Hamburger Freund und Mentor Bohm zuliebe, der auch an den Drehbüchern zu Akins „Tschick“ und „Aus dem Nichts“ mitgeschrieben hat, hat er sich diesmal Bohms neorealistisch inspirierten Regiestil anverwandelt. Der Film, dessen Schlussbild den greisen Hark Bohm am Meer zeigt, der den eigenen Stoff nicht mehr selbst umsetzen konnte, wird so zur Hommage – an den Filmemacherkollegen und an die Insel.

„Amrum“ ist das leise Ende des lauten, von den Nationalsozialisten entfachten Weltkriegsgetöses. Die einfache Geschichte eines zwölfjährigen Jungen, der seiner von Hunger und Schwangerschaft ausgezehrten Mutter (Laura Tonke) den Jieper auf ein Honigbutterbrot stillen möchte. Weizen, Honig und Butter sind in Kriegszeiten auf einer zwei Schiffsstunden vom Festland entfernten Insel jedoch Mangelware.

Nanning (Jasper Billerbeck), der als Familienernährer fungiert und bei Bäuerin Tessa (Diane Kruger) arbeitet, um Milch für seine kleineren Geschwister und Korn für die Hühner zu ergattern, kämpft trotzdem darum. Selbst wenn er dafür Karnickel ausnehmen, Gänseeier klauen, als Robbenköder dienen und bei auflaufender Flut durch den lebensgefährlichen Priel zur Insel Föhr schwimmen muss.

Mutter Hille (Laura Tonke) ist Nationalsozialistin, Schwester Ena (Lisa Hagmeister) widerspricht ihr.

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Bombergeschwader in der Luft, Hakenkreuzfahnen, SA-Leute und abgerissene Flüchtlinge aus Ostpreußen und dem Sudetenland, die auf Amrum einquartiert werden, sprechen von Diktatur und Weltenbrand. In Hark Bohms Roman fällt diese historische Einbettung ausführlicher aus. Auch die Walfänger- und USA-Auswanderer-Geschichte der Amrumer wird in diesem spröden Heimatfilm nur knapp in der Figur des Onkel Theo (Matthias Schweighöfer) angerissen.