Blut und Glitzer beim ESC: Dark-Rocker Lord of the Lost über Korsetts und Kindheitsträume

Nach dem Ukulelen-Gute-Laune-Pop und Akustikgitarren-Weichspül-Rap der vergangenen Jahre legt Deutschland mit Lord of the Lost beim Eurovision Song Contest eine 180-Grad-Wende hin. Die Hamburger Dark-Rock-Band wirkt wie die deutsche Antwort auf ESC-Gewinner Måneskin und Lordi. Doch sie darauf zu reduzieren, würde der Band nicht gerecht werden.

Frontman Chris „The Lord“ Harms gründete das Soloprojekt „Lord“ bereits 2007, kurz darauf entstand daraus die Band „Lord of the Lost“. Im nächsten Frühjahr startet die Band zum 15-jährigen Bestehen ihre Jubiläumstour durch Europa. „Blood & Glitter“ ist bereits ihr achtes und bisher erfolgreichstes Studioalbum: In der ersten Januarwoche landete es auf Platz 1 der deutschen Albumcharts. Dieses Jahr touren sie mit Metal-Legenden Iron Maiden, Amon Amarth und Powerwolf.

Seit Lord of the Lost mit dem Song „Blood & Glitter“ den Vorentscheid „Unser Lied für Liverpool“ am 3. März gewannen, genießt sie eine größere mediale Aufmerksamkeit denn je. Bei King Charles’ Deutschland-Besuch schüttelten ihm die Bandmitglieder in voller Lack-und-Leder-Montur die Hand. Im ARD-„Morgenmagazin“ sagt Harms: „Ey, es ist der ESC, da dürfen wir jetzt hin, das ist ein Kindheitstraum.“ Anschließend singt er eine seichte Akustikversion des ESC-Hits und dreht sich dabei freudig auf seinem Barhocker.

Fans in der schwarzen Szene

Vor Lord of the Lost gründete Frontmann Chris Harms bereits andere Bands. Der 43-Jährige spielt Cello, Gitarre und Bass, und ist studierter Tontechniker. Bis heute produziert und schreibt er auch für Andere Musik – nicht nur im Rock- und Metal-Genre.

Stilistisch liegen Lord of the Lost zwischen Rock und Metal. Harms mischt melodischen Klargesang mit harten Screams und Shouts aus dem Metal. Seine rauchige Stimme ist Markenzeichen der Band.

Lord of the Lost bei „Unser Lied für Liverpool“.
Lord of the Lost bei „Unser Lied für Liverpool“.
© NDR/Claudia Timmann

„Fears“, das erste Album von Lord of the Lost, erschien 2010 und erhielt überwiegend positive Rezensionen. Bereits im darauffolgenden Jahr tourte die Band auf großen Szene-Festivals wie dem Metal-Festival Wacken Open Air, sowie dem M’era Luna Festival und dem Wave-Gotik-Treffen für Anhänger der alternativen und schwarzen Szene.

Die Besetzung von Lord of the Lost wechselte über die Jahre. Seit 2017 besteht sie neben Harms aus Gitarrist Pi Stoffers, Bassist Class Grenayde (bürgerlich Klaas Helmecke), Schlagzeuger Niklas Kahl und Gared Dirge (bürgerlich Gerrit Heinemann) an diversen Instrumenten, wie Piano, Synthesizer, Perkussion, Gitarre oder Theremin.

Blood and Glitter

Für „Blood & Glitter“ legte die Band ihre schwarze Gothic-Kluft ab und hüllte sich in eine rote Glam-Rock Ästhetik. Stil des Albums ist laut Harms an ein Werk des britischen Fotografen Mick Rock angelehnt. Der gleichnamige Bildband zeigt Fotos von 70er-Jahre Pop-Ikonen wie David Bowie, Freddy Mercury oder Tim Curry als Dr. Frank N. Further in der Rocky Horror Picture Show.

„Alles, was wir tun, vor allem auf der Bühne, tun wir, weil’s Spaß macht. Sonst würden wir es nicht machen“, sagt Kahl auf dem Instagram-Kanal der Band. Sie ließen sich in kein Korsett stecken. Das würden sie nur selbst tun, sagt Stoffers in Anspielung auf ihre Bühnenoutfits. „Ich zwänge mich auf der Bühne in ein Korsett, damit ich auch mit 43 immer noch ein bisschen sexy aussehe“, sagt Harms.

Lord of the Lost werfen sich für „Unser Lied für Liverpool“ in Schale.
Lord of the Lost werfen sich für „Unser Lied für Liverpool“ in Schale.
© NDR/Claudia Timmann 

Die düstere Band zeigt sich in den sozialen Medien gern humorvoll. So parodiert Harms mit Falsettstimme und im rosa Overall „Blood & Glitter“ oder präsentiert neue Fanartikel in Germanys-Next-Topmodel-Manier.

Lord of the Lost gewannen dank der Publikumsstimmen den Vorentscheid, genau wie die italienische Rockband Måneskin den ESC 2021. Harte Musik scheint beim Eurovision-Publikum gut anzukommen. Es besteht Hoffnung, dass Lord of the Lost eine bessere Platzierung erzielen als ihre Vorgänger Malik Harris (letzter Platz 2022) und Jendrik (vorletzter Platz 2021). Deutschland stieg in den Prognosen zuletzt auf den 16. Platz.